„projekt augsburg city"

Vorbereitung auf das dritte Jahrtausend
(in: BAUKULTUR 5_2014, S. 17)

„projekt augsburg city“ ist für die Metropole das größte städtebauliche Bauprojekt seit dem Krieg. Verkehrswege, Aufenthaltsorte und Bauwerke werden neu gestaltet. Dazu gehören im Kern die Umgestaltung des ÖPNV (autofreier Königsplatz), der neue barrierefreie Hauptbahnhof und die Neugestaltung der Fußgängerzonen. Daniel Melcer, Strategie-Berater und Inhaber der team m&m Werbeagentur, schildert im Gespräch mit Eberhard Wunderle, Vorsitzender des SAIV Augsburg, die kommunikativen Herausforderungen.

Melcer HauptbahnhofBau des Straßenbahntunnels am Hauptbahnhof (Foto: © team m&m)

Was ist aus Ihrer Sicht die kommunikative Herausforderung bei Großbauprojekten?
Die Haltung innerhalb bestimmter Gruppen in der Bevölkerung hat sich geändert. Kritische und ablehnende Argumentationen enden nicht mehr mit der Planfeststellung oder dem Baubeginn, Beschlossenes kann wieder kippen. Einzelmeinungen werden durch die Beschleunigung und Verstärkung in den neuen Medien plötzlich zu ganzen Bewegungen. Gleichzeitig müssen die Kommunalpolitik und Verwaltung das eigene Handeln erklären und sich mit dem NIMBY-Phänomen (Not In My Backyard – nicht auf meinem Grundstück) sowie mit den abweichenden Ideen von „Laien-Experten" auseinandersetzen. Und das in einem Klima von wachsender Skepsis gegenüber Großbauprojekten durch Skandalisierung und Negativ-Erfahrungen mit z. B. Stuttgart 21, Flughafen Berlin, Elbphilharmonie usw.
Die kommunikative Herausforderung besteht also zuerst darin, dass Entscheider in Kommunen, Planer und Ausführende überhaupt akzeptieren, dass Großbauprojekte nicht nur für sie selbst Stress bedeuten. Großbauprojekte bedeuten Stress für die Menschen in einer Stadt. In der Anfangsphase Entscheidungsstress „Soll ich das als Bürger gut oder schlecht finden?", in der Bauphase Rechtfertigungsstress „Stehen dieser Lärm, die Kosten, die widrigen Umstände noch im Verhältnis zu den Vorteilen?"
Stress und Ablehnung entstehen, wenn Bürger uninformiert sind. Und für diese Informationen sind die Bürger in keiner Holschuld. Die Stadt ist in der Bringschuld – über die ganze Zeit des Bauvorhabens hinweg. Bürgerbeteiligung ist hier wichtig, spricht aber nur sehr betroffene Zielgruppen an. Die große Herausforderung ist daher, die schweigende Mehrheit für ein Projekt zu gewinnen. Deswegen müssen Kommunen die Betroffenheit von verschiedenen Bevölkerungsgruppen identifizieren und ernst nehmen.

projekt augsburg city wird deutschlandweit als erfolgreiches Kommunikationsmodell diskutiert. Wie lautet die Formel?
Jedes Großbauprojekt muss kommunikativ genauso selbstverständlich neu aufgesetzt werden wie planerisch. Bei projekt augsburg city bündelten wir knapp 20 Teilprojekte: vom Neubau des ÖPNV Knotenpunkts, der Revitalisierung der Fußgängerzonen bis zum Umbau des Hauptbahnhofs unter einen vereinenden Gedanken einer zukunftsorientierten modernen Stadt.
Grundsätzlich geht es um zwei Arten von Botschaften. Rationale „Kopf-Kommunikation", also was müssen Betroffene über das Projekt wissen, und emotionale „Bauch-Kommunikation", also welche visionären Aspekte lösen Stolz und Vorfreude aus und imprägnieren dadurch das Projekt vor möglichen Widerständen. Kurzum: emotional ansprechen, umfassend erklären. Dabei hängt die Informationstiefe vom Involvierungsgrad der Zielgruppen ab. „One size fits all" funktioniert also in der Kommunikation nicht.
Bei projekt augsburg city wurde die Kommunikation für 23 identifizierte Zielgruppen passgenau und medial unterschiedlich aufbereitet. Heute sind wir glücklich, dass wir nach zwei gewonnenen Bürgerentscheiden 83 % Befürworter für projekt augsburg city ausweisen können, 92 % der Bevölkerung sich gut informiert fühlen und der in Augsburg prognostizierte Fahrgastrückgang im ÖPNV von ca. 10 % während der Umbauphase nahezu komplett verhindert werden konnte. projekt augsburg city wird als Marke für eine zukunftsorientierte Stadt wahrgenommen.

Was raten Sie?
Wir merken, dass die Kommunikationsberater oder Agenturen zu spät hinzugezogen werden, oft wenn sich Widerstand schon organisiert hat. Man muss über die Stöckchen springen, die von anderen hingehalten werden. Im schlimmsten Fall kippt die ganze Maßnahme oder es entstehen millionenteure Verzögerungen. Das Ziel ist deshalb, von Anfang an selbst die Themen zu setzen, durch strukturierte Informationskampagnen und ernsthaft praktizierte Bürgerbeteiligung dem Widerstand vorzubeugen. Das spart enorme Folgekosten und schont die Nerven der ganzen Stadt.

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