Ressourcenschonender Weiterbau

(in: BAUKULTUR 2_2016, S. 20-21)

Der ehemalige landwirtschaftliche Hof 8 in Weikersheim-Schäftersheim wurde zu einem Bürogebäude, einer Hebammenpraxis und zwei Seniorenwohnungen umgenutzt. Das Architekturbüro Rolf Klärle, Bad Mergentheim, und das Planungsbüro der Bauherrin, Klärle – Gesellschaft für Landmanagement und Umwelt mbH, Weikersheim, legten beim Umbau besonderen Wert auf ein fortschrittliches Energiekonzept.

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Die Umnutzung sollte die Hofgebäude nicht verschleiern, sondern als „Weitergebautes“ erfahrbar machen

Ausgangssituation
Der ehemals landwirtschaftliche Hof stand zum Verkauf. Wie vielen anderen Objekten in den schrumpfenden ländlichen Dörfern drohte ihm der Abriss. Die Bauherrin wohnt in der direkten Nachbarschaft und ist, wie auch der Architekt des Projekts, Rolf Klärle, dort aufgewachsen. Sie erwarb den Hof mit dem Wunsch, ihn behutsam und ressourcenschonend umzunutzen und wieder mit Leben zu füllen.

Allgemeine Zielsetzung
Zu den allgemeinen Zielen gehörten die Belebung und funktionale Stärkung der Dorfmitte sowie die Bewahrung der ortsbildprägenden Hofanlage. Beispielhaft sollte aufgezeigt werden, dass der Erhalt und Umbau einer Hofanlage mitten im Ort zu einem Plusenergiehof mit hoher Gestaltqualität in einem vorgegebenen wirtschaftlichen Rahmen möglich ist.

Architektonische Zielsetzung
Zu den architektonischen Zielen gehörte die Transformation des ehemaligen Bauernhofs in eine zukunftsfähige Architektur und Nutzung. Die Gebäude sollten ihre Herkunft nicht verschleiern und als „Weitergebautes“ erfahrbar werden. Gewünscht war eine Identität stiftende Anmutung der Hofanlage und die Bewahrung ihrer Authentizität.
Technische Komponenten, insbesondere die Solaranlagen, waren in die Gebäudehülle zu integrieren. Die in kleinen Ortschaften oft brach liegenden großen Dachflächen von Scheunen können, hier beispielhaft aufgezeigt, sinnvoll zur Energiegewinnung genutzt werden. Weitere architektonische Ziele waren die Herausarbeitung der Grundstruktur des Hofs durch Abstraktion der Gebäude und die Vorsorge für variable Nutzungsmöglichkeiten aller Bereiche.

Nutzungskonzept
Die Grundrisse erlauben Nutzungsänderungen in allen Gebäudeteilen und bieten die Grundlage für die Möglichkeit vielfältiger Lebensbereiche auf dem Hof. Das ehemalige Bauernhaus wurde zum Bürogebäude umgebaut. In den ehemaligen Stall ist eine Hebammenpraxis eingezogen. Das ehemalige Remisengebäude bietet Raum für zwei Seniorenwohnungen. In der großen Scheune können Sonderveranstaltungen stattfinden. Ein kleines Hofmuseum soll eingerichtet werden.

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Bei der Sanierung wurde besonders darauf geachtet, den Bestand zu erhalten

Energiekonzept
Die bestehenden Gebäude wurden grundlegend saniert. Die Gebäudehüllen sind optimal wärmegedämmt worden, um den Energiebedarf so niedrig wie möglich zu halten. Auch wurde besonders darauf geachtet, den Bestand zu schonen und damit den Anteil der grauen Energie hoch zu halten. Dämmungen aus Cellulose wurden außen auf die Fassaden aufgebracht. Die vorhandenen Natursteinfüllungen des Fachwerks, Lehmfüllungen der Decken und die Kellergewölbe fungieren jetzt als wärme- und feuchteregulierende Massenspeicher.
Die Grundversorgung mit Wärme erfolgt über eine zentrale Grundwasserwärmepumpe, für die der ehemalige Wasserbrunnen des Hofs wieder aktiviert werden konnte und der jetzt wieder, wie früher, eine zentrale Rolle einnimmt. Über ein Nahwärmenetz werden die einzelnen Gebäudeteile mit Wärme versorgt. Intelligente Regelungstechnik bewirkt eine um ca. 15–20 % günstigere Ausnutzung der Heizenergie gegenüber einer konventionellen Regelung.
Auf den Dachflächen von Scheune, Remise und Bauernhaus sind vollflächig 550 m² PV-Module angebracht. Sie erzeugen den gesamten Strombedarf des Hofs einschließlich der Grundwasser-Wärmepumpe und darüber hinaus noch einen deutlichen Überschuss, der ins Stromnetz eingespeist wird. Zwei Ladestationen für Elektrofahrzeuge stehen den Nutzern und der Öffentlichkeit kostenfrei zur Verfügung.

Das Bürogebäude ist mit einer Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung ausgestattet und kann im Sommer auch gekühlt werden. Die Versorgung der angrenzenden Nachbarn mit Strom ist möglich. Ebenso ist die Einbindung einer exemplarischen Kleinwindradanlage vorgesehen.
Die Warmwasserbereitung erfolgt dezentral in den einzelnen Nutzungseinheiten in Unterstationen im Durchlaufprinzip. Warmwasserspeicher sind dadurch nicht erforderlich, und eine Legionellenbildung kann ausgeschlossen werden.

Nachhaltigkeit
Schon der Erhalt der Gebäude bewirkt ein hohes Maß an Nachhaltigkeit. Zudem wurden vorhandene Materialien, wie z. B. Kopfsteinpflaster, Altholz für Holzreparaturen, Natursteine, Treppenstufen oder alte Rahmen-Füllungstüren, wieder eingebaut, auch um die Authentizität des Hofs zu bewahren. Als neues Baumaterial, insbesondere das Fassaden- und Dämmmaterial, wurden ausschließlich CO2-neutrales Holz und Holzwerkstoffe verwandt.

Auszeichnungen
Die Umnutzung der ehemaligen Hofanlage in Weikersheim-Schäftersheim wurde mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis 2014, dem Landespreis Baden-Württemberg und dem Europäischen Solarpreis ausgezeichnet.

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