Wenn Architektur Wurzeln schlägt

Wohngebäude in Paris
(in: BAUKULTUR 3_2021, S. 14-15)

Unter dem Slogan „Reinventer Paris“ hatte die Stadt Paris im Jahr 2015 Teams aus Bauträgern und Planern aufgerufen, Entwicklungsprojekte einzureichen. Zu den seinerzeit ausgewählten Vorschlägen gehörte auch das Projekt „Edison Lite“ von Manuelle Gautrand Architecture.

Manuelle Gautrand 1

Das Edison Lite ist ein Gebäude mit maßgeschneiderten Wohnungen, das gemeinsam mit seinen künftigen Bewohnern entworfen wurde. Im Vorfeld waren die Käufer der 13 Open-Market Einheiten unter knapp 2.000 Bewerbern ausgewählt worden, um eine funktionierende Wohngemeinschaft zusammenzustellen. Verkauft wurde schließlich zum Preis von 7.990 Euro/m² – also 30 % unter dem gängigen Marktniveau. Neben Wohnungen umfasst der Neubau zwei Gewerbeeinheiten. Eine wird von einer Kinderkrippe genutzt, in der anderen befindet sich eine physiotherapeutische Praxis.

Sozial und klimagerecht
Über seine reine Funktion hinaus ist das Edison Lite jedoch auch Vorbild für eine soziale und klimagerechte Baukultur der Zukunft. Es steht exemplarisch nicht nur für die Schaffung von maßgeschneiderten Wohneinheiten, sondern auch für die Entwicklung einer innerstädtischen Landschaft, die die Bewohner willkommen heißt. Das schon während der Bauarbeiten bepflanzte Gebäude integriert 290 mit einem automatischen Bewässerungssystem ausgestattete Pflanzgefäße, also durchschnittlich 14 Pflanzgefäße pro Einheit. Schon vor dem Einzug der Bewohner wurden in diesen Pflanzgefäßen mehr als 6.000 Pflanzen gesetzt, darunter 310 Passionsblumen. Auf dem Dach befindet sich zudem eine 150 m² große und parzellierte Gartenfläche, sodass jeder Bewohner sein eigenes Gemüsebeet bewirtschaften kann. Auf dieser Basis regt das Projekt zu einer „permakulturellen“ Lebensweise an: Die Bewohner werden einen Teil ihrer Lebensmittel selbst produzieren. Darüber hinaus stehen Gemeinschaftsflächen zu Verfügung, die etwa 20 % der verfügbaren Flächen einnehmen. So ist im Untergeschoss eine große Werkstatt untergebracht. Im Erdgeschoss befindet sich ein sicherer Fahrradkeller. Und das 6. Obergeschoss nimmt ein Sonnendeck und eine gemeinschaftliche Grillküche im Freien auf. Vor diesem Hintergrund ist ein ungewöhnliches Bauwerk entstanden, das die massiv bebaute Nachbarschaft in vielerlei Hinsicht aufwertet. Die Fassaden sind sowohl weitgehend verglast als auch weitgehend bepflanzt, um eine Art Filter zu schaffen, der den direkten Blick in die Räume verdeckt.

Manuelle Gautrand 2

Optimierte Materialkombination
Bei der Auswahl der Materialien orientierten sich die Planer am Prinzip, „das richtige Material am richtigen Ort“ zu verwenden, um bestimmte Elemente nicht überdimensionieren zu müssen und dadurch die Kosten zu erhöhen. Zudem setzten die Architekten auf maximale Vorfertigung und eine möglichst flexible Grundrissstruktur. Das Ergebnis ist eine optimierte Kombination von Beton, Holz und Metall. Das Tragsystem basiert auf einem Betonkern, der das Treppenhaus, den Aufzugskäfig und die Treppenabsätze umfasst, und entlang der Fassade aneinander gereihten Betonstützen. Dadurch konnten die Grundrisse sehr flexibel gehalten werden. In der Fassade stellt Holz das vorherrschende Material dar. So sind alle Fenster aus gebeiztem massivem Kiefernholz gefertigt. Die Brüstungen zwischen den Fassadenstützen kombinieren Holz mit Beton. Die Be- und Entwässerungssysteme für die Pflanzgefäße verlaufen entlang der Fassadenstützen, die mit thermisch modifiziertem Holz verkleidet sind.

Manuelle Gautrand 3

Durch die kluge Mischung aus Bauwerk und bepflanzbarem Boden ist ein Vorzeigebau entstanden, auf dessen nur 387 m² kleiner Grundfläche nicht weniger als 148 m² mit Erde bedeckt sind, also fast 40 %. Damit entspricht das Projekt der 2016 in der Charta „100 Hektar“ veröffentlichten Zielvorstellung der Stadt Paris. Sie wünscht sich im städtischen Bereich 100 ha bepflanzte Mauern und Dächer, davon 33 ha städtische Landwirtschaft. Ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu diesem Ziel ist mit Edison Lite bereits getan.

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