Lebhaftes Fassadenrelief

Wohngebäude in Tübingen
(in: BAUKULTUR 1_2022, S. 18-19)

Vorgefertigte Betonelemente bilden in Tübingen die prägende Außenhaut eines Wohnungsbaus der beiden Stuttgarter Architekturbüros Yonder und SOMAA. Die Vor- und Rücksprünge der Betonfassade, auskragende Balkone und rhythmisch gesetzte Fenster schaffen eine architektonische Qualität, von der alle Bewohner gleichermaßen profitieren.

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Das integrative Wohnprojekt WOLLE+ entstand nach dem Konzept „Wohnen für Alle“ des Wohnsoziologen Gerd Kuhn. Wichtiger Bestandteil ist ein speziell konzipierter Wohnungsbau, in dem Menschen mit verschiedensten kulturellen, ethnischen, wirtschaftlichen und sozialen Hintergründen unter einem Dach leben können. Das „Haus am Park“ bildet mit seinen 14 unterschiedlichen Wohneinheiten den Wohnschwerpunkt des Projekts, während der schräg dazu angeordnete Bau mit dem Nachbarschaftszentrum „Brückenhaus“ auch weiteren Interessierten offensteht und damit einen Mehrwert für das gesamte Quartier schafft.

Hohe Architektur- und Aufenthaltsqualität
Jede der unterschiedlich dimensionierten Wohneinheiten verfügt über einen zentralen Wohn-Ess-Raum, an den ein großer Balkon anschließt; jedes der Zimmer hat bodentiefe Fenster, Fußbodenheizung und wertiges Industrieparkett. Flexible Grundrisse lassen sich der aktuellen Nutzung gemäß anpassen. Eine Wohnung für Geflüchtete mit bis zu sechs Zimmern kann später zu einem offenen durchgesteckten Loft werden, die aktuellen Micro-Appartements lassen sich zu einer Studenten-WG zusammenschalten. Gemeinschaftlich genutzte Räume erweitern den privaten Bereich.

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Betonbau zu überschaubaren Kosten
Die doppelschalige Außenwand des Bauwerks wurde mit einer sichtbar belassenen Betonfassade vorgefertigt, die massiven Sichtbetonwände im Innern vor Ort betoniert. Die primär tragenden Bauteile, die kerngedämmten Außenwände aus Beton, wurden als Thermowände geplant. Mit der 7 bzw. 10 cm starken Außenschale, der 18 cm starken Dämmung, der 6 cm starken Innenschale sowie 11 cm Ortbeton erreicht die über 40 cm starke Außenwandkonstruktion einen U-Wert von 0,20 W/m²K. Architekt Tobias Bochmann resümiert den Einsatz der Betonfertigteile: „Wir lösten die meisten bautechnischen Details bereits bei der Planung der Betonelemente. Alles ist wärmetechnisch entkoppelt, sodass keine kritischen Wärmebrücken entstanden sind.“

Prägnante Betonfassade
Die Architekten setzten die bis zu 6,50 m langen und bis zu 3,64 m hohen Elemente in einem gleichmäßigen 120er Raster zusammen und schufen eine Ansicht, die mit Abstufungen und klar definiertem Fugenverlauf ein prägnantes Fassadenrelief bildet. Für diesen Effekt wurden die Außenschalen der Thermowände unterschiedlich stark ausgeführt, teils alternieren bei großen Elementen zwei verschiedene Stärken. Am regelmäßigen Vor- und Zurückspringen der gleichförmigen Betonformate und dem geschossweisen Versatz in der Fassade zeigt sich deren elementare Stellung in der Tektonik des Gebäudes. Attika und Sockel sind verdeckt ausgebildet. Auch die äußeren Fensterlaibungen waren bis auf die Fensterbank bereits in den Fertigteilen integriert. Die meisten der 2,50 m auskragenden Balkone weisen nach Süden. Weißes, gelochtes Wellblech dient als Brüstung.

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Durchdachte Planung und Konstruktion
Vor Ort wurden die vorgefertigten, doppelschaligen Wandscheiben mittels Schrägstützen geschossweise aufgestellt, mit Kernbeton ausgegossen und durch die Anschlussbewehrung der Deckenkonstruktion mit dieser statisch verbunden. Die massiven Wohnungstrennwände und Decken entstanden dagegen komplett aus konventionell in die Schalung eingebrachtem Transportbeton. Weitere Innenwände wurden in Trockenbauweise ausgeführt. Der Keller erhielt eine wasserundurchlässige weiße Wanne. Alle Elektroinstallationen wurden vorab eingebaut. Schlitze und Aussparungen für Heizungs- und Sanitärinstallationen wurden nachträglich bauseits geschlossen. Aufgrund der sehr hohen Schallschutzanforderungen waren spezielle Laibungslüfter erforderlich. Die dafür nötigen Aussparungen waren ebenfalls bereits werksseitig in den Fertigteilwänden angeordnet. Nach dem Einbau wurden sie bauseits durch die innere Laibungsbekleidung der Fenster geschlossen.

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