Ausgabe 2_2024: Editorial

(in: BAUKULTUR 2_2024, S. 3)

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
verehrte Leser und Freunde der BAUKULTUR,

zehn Jahre ist es her, dass wir unter dem Begriff „shrinking cities“ mit einem ganz neuen Urbanismus konfrontiert wurden. Für eine Vielzahl deutscher Städte wurde ein Bevölkerungsrückgang auf die Hälfte bis 2050 prognostiziert. Als Grund dafür wurde der Rückgang der Beschäftigung bei nur noch geringfügigem Wirtschaftswachstum erkannt. Im Vergleich der Regionen gab es daher auch ein Nord-Süd- wie auch ein Ost-West-Gefälle. Die „perforierte Stadt“ wurde als ein neues Leitbild diskutiert, man erinnerte sich an das Manifest von Oswald Matthias Ungers, welches er mit prominenten Kollegen 1977 als Gegenbild zur Rekonstruktion der europäischen Stadt veröffentlichte. Berlin erschien damals als der Ort, an dem sich die Figur einer polyzentrischen Stadtlandschaft als grünes Archipel errichten ließ. Was für Berlin wie eine Chance klang, war für viele ost- und westdeutsche Städte eine Vision des Niedergangs. Noch in 2013 haben wir im AIV zu Berlin zusammen mit der damaligen Bausenatorin über die behördlich erwogene Abrissverpflichtung für dauer-haft leerstehende Wohnungen im Tausch für Baugenehmigungen an anderer Stelle diskutiert.

Es gibt sie weiterhin, die schrumpfenden Städte. So wurde in Görlitz beispielsweise 2021 beschlossen, das Willkommenspaket für neu hinzugezogene Einwohner mit Probewohnen, frei nutzbaren öffentlichen Verkehrsmitteln und anderen geldwerten Attraktionen fortzuführen. Ein leichter Bevölkerungszuwachs ist nun zu verzeichnen. Schrumpfende Innenstädte gibt es dagegen flächendeckend von der Großstadt bis zur Kleinstadt. Hier sind es die Folgen des Strukturwandels, die den Innenstädten ihren Versorgungscharakter nehmen, zunächst auf der grünen Wiese, später im digitalen Handel. Für alle diese Phänomene dürfen Lösungen gefunden werden – immer auch verbunden mit der Chance, im Wandel Neues und Besseres zu entdecken.

Die Wichtigkeit der Entwicklung unserer Städte und Regionen ließ 2022 das Bundesbauministerium wieder entstehen. Neben den vielen anderen Themen der Stadt- und Regionalentwicklung, die sich mit Wachstum und Schrumpfung beschäftigen müssen, trat unmittelbar ein weiteres Projekt in den Vordergrund: das „Bündnis für bezahlbaren Wohnraum“. Diese „große gesellschaftspolitische Aufgabe dieses Jahrzehnts“ wurde im Koalitionsvertrag mit viel Schwung angegangen. Neben der Sicherstellung des sozialen Friedens standen auch die Sicherung der Baukonjunktur und die Ziele der angestrebten Klimaneutralität im Fokus. Diese in Konkurrenz stehenden Ziele zu verbinden, ist eine Herkulesaufgabe! Jedes Jahr sollten etwa 400.000 neue bezahlbare Wohnungen entstehen, davon ein Viertel im öffentlich geförderten Wohnungsbau. Diese Ziele wurden nicht erreicht. Gründe finden sich in der Baukostenexplosion, dem Fachkräftemangel, der zeitweilig eklatanten Materialknappheit. Der Anstieg der Zinsen dämpft ebenfalls die Nachfrage, und die Grundstücksentwicklungen in den Städten dauern zu lange. Die aus ökologischen Gründen gebremste Neuausweisung von Bauland in bisher unbebauten Gebieten ist im europäischen Rahmen beschlossen. Darüber hinaus bleibt der Druck auf den Wohnungsmarkt auch durch die Folgen des russischen Angriffskrieges hoch.

Zunächst – betont die Ministerin – gilt es, den Markt durch langfristig stabile Rahmenbedingungen zu festigen und gegebenenfalls durch Förderungen wiederzubeleben. 45 Milliarden Euro Förderung bis 2027 bringen Bund und Länder hierfür auf. Eine beachtliche Zahl in einer Regierungskoalition, in der der Finanzminister beharrlich oder stur an der Schuldenbremse zerrt. Die wichtigsten Neuerungen entstehen aber aus ihrer Ermunterung, „etwas Neues zu wagen und zu experimentieren“. Hier finden wir wichtige Positionen der Planer aus den letzten Jahren wieder: Die Beschleunigung von Verfahren soll durch die Digitalisierung von Bauleitplanung und Genehmigungsverfahren erreicht werden. Baukosten sollen durch serielles und modulares Planen und Bauen gesenkt werden, und es soll ein Gebäudetyp „E*wie einfach“ etabliert werden. Dies soll Rechtssicherheit für zukunftsweisende Projekte bringen. Finanzielle Programme wie „Jung kauft Alt“ und auch die viel gescholtenen Förderungen beim Einbau klimafreundlicher Heizungsanlagen sind konkrete und wirksame Stabilisatoren, wenn sie länger erhalten bleiben. Schließlich will das Ministerium in diesem Jahr die „Neue Wohngemeinnützigkeit“ an den Start bringen. In diesem neuen Marktsegment hat der AIV zu Berlin-Brandenburg das Genossenschaftsmodell mit einem eigenen Vorschlag wieder in die Diskussion gebracht. Ich persönlich glaube, dass diese genossenschaftlichen Entwicklungskonzepte nicht nur aus ökonomischen Vorteilen, sondern auch aus ökologischen Gründen die besten Konzepte hervorbringen werden.

Herzlich, Ihr
Arnold Ernst
DAI Präsident

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