Nachhaltig Bauen für die Zukunft

(in: BAUKULTUR 3_2014, S. 14-17)

Bauwerke beanspruchen etwa 40 % des Energieverbrauchs sowie 50 % aller der Natur entnommenen Rohstoffe, sind mit etwa 35 % an den Treibhausgasemissionen beteiligt, und sie produzieren mehr als 60 % aller Abfallmassen. Diese Zahlen belegen, dass im Immobiliensektor große ökonomische und ökologische Potenziale enthalten sind, die es mit den Mitteln des Nachhaltigen Bauens zu erschließen gilt.
Eingeleitete Maßnahmen staatlicher Gremien zur Durchsetzung der Klimaschutzziele beeinflussen einerseits die Kosten der Gebäude und verändern die klassische Vorgehensweise des Planungs- und Bauprozesses, andererseits entstehen bedeutende neue Märkte. Mit der Umsetzung von Qualitätsstandards zum Nachhaltigen Bauen und der Integration städtebaulicher und gestalterischer Aspekte sind vor allem Architekten und Ingenieure befasst. Bedeutsam für den Immobiliensektor ist, dass nicht nur Neu- und Bestandsgebäude, sondern auch ganze Stadtquartiere auf Nachhaltigkeit zertifiziert werden. Internationale und nationale Nachhaltigkeitszertifikate entwickeln sich vermehrt als Treiber für die Werthaltigkeit von öffentlichen und gewerblichen Immobilien.

Treibhausgasemissionen und Energieeinsparung
Der UN-Weltklimarat (IPPCC) stellte in seinem Bericht vom September 2013 fest, dass sich die Erderwärmung nur dann langfristig um 2 Grad begrenzen lässt, wenn die Treibhausgasemissionen ab 2020 stark zurückgehen. Durch weiteren ungebremsten Ausstoß werden die Meeresspiegel weiter steigen, die Meere sich erwärmen, die Trinkwasserressourcen durch das Abschmelzen vieler Gletscher ausfallen und die Klimazonen sich verschieben. Deshalb verständigten sich die 28 EU-Mitgliederstaaten darauf, den Ausstoß klimaschädlicher Treibhausgase und den Energiebedarf im nicht-industriellen Bereich bis 2020 um 20 % im Vergleich zu 1990 zu reduzieren. Der Anteil erneuerbarer Energien an der Wärmeversorgung soll im gleichen Zeitraum auf 20 % steigen. Die neue Energieeinsparverordnung (EnEV 2014) erhöht u. a. bereits zum 1.1.2016 die Effizienzanforderungen für Neubauten um einmalig 25 % des zulässigen Jahres-Primärenergiebedarfs, und der maximal erlaubte Wärmeverlust durch die Gebäudehülle wird um durchschnittlich 20 % reduziert. Die EU-Richtlinien verschärfen auch den Klimaschutz. Gebäude, die nach dem 31.12.2020 realisiert werden, müssen den Energiebedarf im Wesentlichen selbst erzeugen, und bis spätestens 2050 sollen die Treibhausgase um 80 % reduziert werden.

Rechtsgrundlagen und Normen
Zur Umsetzung der Energie- und Klimaschutzziele wurden auf nationaler und europäischer Ebene gesetzliche Anforderungen und verbindliche Normen eingeführt. Im Baugesetzbuch (BauGB) und in den Landesbauordnungen der Länder sind Vorschriften zum Umwelt- und Naturschutz aufgenommen worden. Ergänzend dazu wurden wichtige Lösungsansätze zur nachhaltigen Entwicklung von Bauwerken in Form von Leitfäden und Datenbanken erarbeitet. Besonders erwähnenswert sind hierbei die Nachhaltigkeits-Zertifizierungen für Neu- und Bestandsbauten sowie die Forschungsinitiativen des Bundes, mit denen zukunftsweisende Lösungen zum Nachhaltigen Bauen realisiert werden. Die Rechtsvorschriften zur Energiepolitik sind jedoch nur unzureichend aufeinander abgestimmt, was zu hohen Kosten und starker Fragmentierung des Marktes führt. Wie bereits vom Bundesrat gefordert, sollten deshalb die betreffenden Rechtsvorschriften vereinfacht und harmonisiert werden.  

Ziele des Nachhaltigen Bauens
Im „Leitfaden Nachhaltiges Bauen“ des BMVBS sind erstmalig Ziele wie Schutz der Umwelt, der Ressourcen, der Kultur und des Kapitals konkretisiert und zusammengeführt worden. Daraus leiten sich drei Kategorien der Nachhaltigkeit wie Ökologie, Ökonomie und sozialkulturelle mit funktionalen Aspekten ab. Außerdem übernehmen technische Qualität und Prozessqualität als Querschnittsqualitäten Einfluss auf alle Aspekte des Nachhaltigen Bauens. Standortmerkmale werden bei Neubauten gesondert betrachtet und bewertet. Die Nachhaltigkeit eines Gebäudes zeichnet sich besonders durch die integrale Betrachtung dieser 6 Qualitäten aus. Gemeinsames Ziel ist die Optimierung des Projekts mit den Phasen Planung, Bauen, Nutzung, Modernisierung und Rückbau über den gesamten Lebenszyklus.

Zertifizierungssysteme
Nachdem sich die Nachhaltigkeitszertifikate für Neubauten, Bestandsgebäude und Stadtquartiere international und national bereits etabliert haben, werden seit 2008 die Immobilien des Bundes nach dem Bewertungssystem Nachhaltiges Bauen (BNB) bewertet. Auch Bundesländer und Kommunen zertifizieren bereits einen Teil ihrer Immobilien. Weltweit gibt es derzeit etwa 100 Bewertungs- und Zertifizierungssysteme. In Deutschland haben sich für gewerbliche Neubauten drei marktrelevante Varianten durchgesetzt:

  • DGNB-Zertifikat (Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen)
  • BREEAM-Zertifikat (Building Research Establishment Environmental Assessment Method)
  • LEED-Zertifikat (Leadership in Energy and Environmental Design)

Die Zertifizierungssysteme für Bestandsimmobilien orientieren sich jeweils an der Systematik für Neubauten, jedoch modifiziert und ergänzt. Für öffentliche Neu- und Bestandsbauten steht neben dem bewährten, aber kostenpflichtigen DGNB-Zertifizierungssystem auch das offene Bewertungssystem Nachhaltiges Bauen (BNB) zur Verfügung, bei dem alle Informationen, Instrumente und Bewertungsgrundlagen frei zugänglich sind. In dem ergebnisorientierten Verfahren werden keine Einzelmaßnahmen bewertet, sondern ihre nachweisbare Wirkung im Gesamtkonzept. Die Anwendung erfolgt planungsbegleitend und dient damit gleichzeitig der Optimierung des Gebäudes sowie der Qualitätssicherung. Anhand des Erfüllungsgrades (50–100 %) wird eine Note, zugeordnet den Qualitätsstufen Bronze, Silber oder Gold, vergeben. Der Bauherr erhält nach Abschluss des Verfahrens eine Plakette und eine Urkunde, in der die Ergebnisse der Bewertung dargestellt werden.

Kosten der Zertifizierung
Die Kosten der Nachhaltigkeitszertifizierung für Neubauten und Bestandsgebäude müssen wegen der unterschiedlichen Systeme differenziert betrachtet werden. Obwohl das Nachhaltige Bauen zunächst die Kosten von Planung und Bauinvestition erhöhen kann, führt es bei Betrachtung des gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes in der Regel zu niedrigeren Baunutzungskosten. Eine aktuelle Auswertung von gewerblichen Neubauprojekten ergab, dass in Abhängigkeit von den jeweiligen Herstellungskosten die Mehrkosten für eine Nachhaltigkeitszertifizierung bei 1–5 % liegen können.
Der finanzielle Aufwand für die Zertifizierung von Bestandsgebäuden ist abhängig vom Zustand des Objekts. Liegt bereits eine verwertbare Bestandsdokumentation vor und werden lediglich die vorhandenen Qualitäten dokumentiert, ist der finanzielle Aufwand gering. Sind jedoch zum Nachweis umfangreiche Planungen notwendig und muss auch noch der Gebäudebetrieb optimiert werden, so können die Zertifizierungskosten erheblich ansteigen. Die Kosten für die Nachhaltigkeitszertifizierung von Bestandsgebäuden können sich je nach Aufwand und Zertifizierungssystem zwischen 30.000 und 200.000 Euro bewegen. Die Kosten für die BNB-Bewertung öffentlicher Neu- oder Bestandsbauten sind noch nicht veröffentlicht worden.

Gültigkeit der Zertifizierung
Um die Werthaltigkeit zertifizierter Bestandsgebäude, aber auch ganzer Stadtquartiere langfristig nachhaltig zu sichern, sind regelmäßige Rezertifizierungen notwendig. Die marktrelevanten Nachhaltigkeitszertifikate für Bestandsgebäude haben alle nur begrenzt Gültigkeit, weil sich besonders die betrieblichen Anforderungen kurzfristig ändern können. Das DGNB-Zertifikat fordert zwar keine Rezertifizierung, es verliert aber seine Gültigkeit nach 5 Jahren, und die LEED-Zertifizierung behält nur dann ihre Gültigkeit, wenn alle 5 Jahre eine Rezertifizierung durchgeführt wird. Die einjährige Gültigkeit des BREEN DE-Zertifikats kann mit Kontrollbegehungen oder einer Bestätigung, dass keine Änderungen erfolgten, weiter verlängert werden. Wird jedoch eine Abweichung von mehr als 5 % gegenüber der Beurteilung des gültigen Zertifikats festgestellt, ist auch hier eine neue Bestandszertifizierung notwendig. Neben den etablierten Zertifizierungssys-temen werden sich in Zukunft noch weitere Verfahren, wie z. B. das „Green Rating“, aber auch länderspezifische Systeme in der Immobilienwirtschaft weiter durchsetzen. Die Gültigkeitsdauer der BNB-Bewertung für Bestandsbauten des Bundes ist bisher noch nicht festgelegt worden.

Nachhaltige Entwicklung von Bestandbauten
Die nachlassende Neubautätigkeit in Deutschland führt zu größerer Bedeutung der Bestandsbauten. Wichtig für das Nachhaltige Bauen ist, dass bei Bestandsbauten ein großer Teil des Gesamtenergieverbrauchs und der Treibhausgasemissionen entfallen, weil etwa zwei Drittel der Bestandsgebäude vor der ersten Wärmeschutzverordnung 1977 realisiert und seither nicht vollständig energetisch verbessert wurden. Darüber hinaus stellen diese Bauten auch einen beträchtlichen ökologischen und ökonomischen Wert dar. Neben der energetischen Verbesserung von Bestandsbauten nach dem aktuellen Stand der Technik sollte deswegen auch ihre Nutzungsdauer, soweit wirtschaftlich vertretbar, durch Weiterverwendung, Umnutzung oder Modernisierung verlängert werden.
Während der baukulturelle Wert denkmalgeschützter Gebäude allgemein anerkannt ist, sind so genannte Alltagsbauten oft vom Abriss bedroht, obwohl auch sie nicht nur den städtischen Raum prägen, sondern oft auch eine identitätsstiftende Wirkung haben. Um Ressourcen zu schonen und die Umwelt zu entlasten, sollten deshalb Ersatzbauten nur in begründeten Fällen realisiert werden. Die nachhaltige Entwicklung von Bestandsbauten ist im Prinzip nach den gleichen Verfahren umzusetzen wie bei nachhaltigen Neubauplanungen.

Rathaus Oostkamp
Das Rathaus im flämischen Oostkamp von Carlos Arroya ist in einer ehemaligen Logistikhalle untergebracht (Foto: Hans Wallner)

Ein gelungenes Beispiel für eine nachhaltige Entwicklung eines Bestandsgebäudes ist das Rathaus im flämischen Oostkamp. Die Aufgabe eines EU-weiten Wettbewerbsverfahrens war, eine ehemalige Logistikhalle mit einer fast geschlossenen Gebäudehülle in ein Verwaltungszentrum umzubauen. Neben der Umsetzung eines anspruchsvollen Raumprogramms sollte aus Gründen der Nachhaltigkeit die Halle weitgehend erhalten bleiben. Den Wettbewerb gewann der spanische Architekt Carlos Arroya, der die Grundstruktur des Gebäudes erhalten konnte, in die Fassade ideenreich die notwendigen Fenster und Türen schnitt und die neuen Raumfunktionen kreativ auf dem ehemaligen Hallenareal verteilte. Besonders gelungen sind im bürgerfreundlichen Rathaus die prägnant gestaltete Deckenlandschaft aus Gipskarton-Halbkugeln und die damit einhergehende Lichtführung, die dem Rathaus nun eine besondere Atmosphäre verleiht.

Rathaus Oostkamp innen
Deckenlandschaft im Rathaus von Oostkamp (Foto: Hans Wallner)

Qualitätssicherung der Planung
Eine integrale, lebenszyklusorientierte Gebäudeplanung ist die Grundlage für nachhaltige Qualität. Die etablierten Bewertungs- und Zertifizierungssysteme beurteilen jedoch systembedingt besonders die Nachhaltigkeit von Gebäuden und klammern Gestaltungsqualität, Gebäudequalität und städtebauliche Einbindung weitgehend aus.
Bei einer DGNB-Zertifizierung ist z. B. der Anteil der Gestaltungsqualität (ca. 2 %) bezogen auf die erreichbare Gebäudegesamtnote (100 %) nur sehr gering. Deswegen sind bereits in den ersten Planungsphasen alle qualitätssichernden Bewertungskriterien zu berücksichtigen, wie etwa Gestaltung, Funktion, Komfort und Gesundheit, Ressourcen und Energie sowie Wirtschaftlichkeit. Eine Möglichkeit, die nachhaltigen und gestalterischen Qualitäten in einer integralen Planung zu sichern, ist die frühe Beteiligung eines interdisziplinär besetzten Teams aus Architekten und Fachplanern. Die integrale Planung ermöglicht eine ganzheitliche Betrachtung der komplexen Anforderungen an ein Gebäude und die phasenweise Entwicklung einzelner nachhaltiger und gestalterischer Aspekte im Gesamtkonzept.
Bei Wettbewerben zur Planung größerer oder bedeutender öffentlicher und privater Bauwerke haben erfahrungsgemäß nachhaltige Beurteilungskriterien nicht die notwendige Gewichtung. Deshalb wurden in der Systematik der RPW 2013 besondere Leitlinien für nachhaltigkeitsorientierte Wettbewerbe entwickelt.
Die Stadt Hamburg führte im März 2011 den „Leitfaden Nachhaltigkeitsorientierte Architektenwettbewerbe (LeNA)“ und das ehemalige BMVBS im Mai 2013 die Empfehlungen „Systematik für Nachhaltigkeitsanforderungen in Planungswettbewerben (SNAP)“ für die Bauten des Bundes ein. So sollen optimierte Konzepte für Lösungen von nachhaltigen Planungsaufgaben und geeignete Auftragnehmer für die weitere integrale Planung gefunden werden. In dem standardisierten Auslobungsverfahren bewertet ein interdisziplinär besetztes Preisgericht die Wettbewerbsarbeiten nach den Vorgaben des Auslobers und den festgelegten Bewertungskriterien in mehreren vergleichenden Durchgängen. Bereits in den Auslobungsunterlagen sollte vom Bauherrn auch festgelegt werden, nach welchem Nachhaltigkeitssystem das Projekt zertifiziert werden soll und welche Note – Gold, Silber oder Bronze – es erreichen soll.   

Märkte
Nachhaltiges Bauen ist ein elementarer Teil der Leitmarkt-initiative der EU-Kommission, mit der seit 2007 innovationsfreundliche Märkte entwickelt, die Vermarktung von nachhaltigen Produkten erleichtert, die Märkte in Europa gestärkt, ihr Wirtschaftswachstum bis 2020 verdoppelt und zusammen eine Million Arbeitsplätze geschaffen werden sollen. Vor allem wegen ihres hohen Anteils am Endenergieverbrauch (42 %) und an den Treibhausgasemissionen (35 %) sind Gebäude hier umfassend beteiligt. Um nur in Deutschland die Ziele der Energiewende zu erreichen, sind nach ersten Schätzungen des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme ISE in den nächsten zwei Jahrzehnten Investitionen von etwa 200–300 Mrd. Euro nötig, diese sollen jedoch bis 2050 wieder erwirtschaftet werden. Die geplante Energiewende kann demnach ein großes Konjunkturprogramm für Architekten, Ingenieure, Bauwirtschaft und Forschung anstoßen und die Möglichkeit eröffnen, nachhaltige Lösungen für Neu- und Bestandsbauten zu entwickeln und die innovativen Produkte weltweit zu exportieren.

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