Transluzente Fassade aus glasfaserverstärktem Kunststoff
Ausgabe: BAUKULTUR 2-2007 (S. 15-17)
Das Wohn- und Atelierhaus des Dachauer Architekturbüros dv architekten liegt im Kern der Altstadt von Dachau. Das Grundstück ist zur Hälfte von einer uralten Linde besetzt, die ihm als Naturdenkmal seinen einmaligen Charakter verleiht. Städtebaulich bildet die Linde den Mittelpunkt eines neu gefassten, innerstädtischen Platzes. Die Grundrissorganisation des Atelierhauses nimmt Bezug, indem alle Aufenthaltsräume nach Osten zum Baum orientiert sind. Er sollte nicht als Staffage trivialisiert, sondern mehrfach ins Zentrum gerückt werden.
Abbild und Wirklichkeit
Vor allem aber reagiert die Fassade: eine Projektion winterlich blattloser Aststrukturen der Linde legt sich als Abwicklung um das ganze Haus herum. So wird das Haus zum „Baumhaus“ und gewinnt dabei mehrere Dimensionen: Abbild, Wirklichkeit, Schattenwurf und Spiegelbild überlagern sich zu einer Collage, in der Haus und Baum optisch miteinander verschmelzen. Die Fassade zieht sich camouflageartig hinter der Linde zurück. Diese enge Verbindung von Baum und Haus auf verschiedenen Ebenen ist hier das Thema. Es wurde bewusst kein Kontrast gesetzt. Aus diesem Grund fügt sich das Haus trotz seiner Modernität so unauffällig in den Zusammenhang ein, als hätte es schon immer hier gestanden.
Fassadenmaterial
Die Fassade besteht aus handlaminierten Paneelen aus transluzentem, glasfaserverstärktem Kunststoff (GFK), einem im Fassadenbau bisher kaum verwendeten Material. Das Baummotiv ist durchgehend, nicht repetitiv, auf ein Spezialpapier gedruckt und steckt wie ein Tattoo tief in der GFK-Haut.
Die insgesamt 150 einzelnen Paneele sind mit 8cm Abstand von der Wärmedämmung auf einer Lattenkonstruktion punktförmig montiert. Dadurch kann sich im Zwischenraum das Licht gleichmäßig ausbreiten. Die grünen Paneele sind fast flach, in der Horizontalen mit einer offenen Fuge aneinandergereiht, in der Vertikalen geschuppt; die Paneele des Dachaufbaus haben eine starke Wölbung, die waagrechten Stöße treten als deutliche Profilierung hervor.
Raumidee
Thema im Inneren ist die kontrollierte Unvollkommenheit. Die Rohbauästhetik mit unbehandelten Sichtbetonflächen, Estrichböden und groben Stahlgeländern zieht sich durch das gesamte Gebäude. In der Küche beispielsweise bestehen die Oberflächen der Arbeitsflächen aus orange eingefärbtem Zement. Ein Regalsystem aus mdf-Platten, roh und ungeschliffen, unterstreicht den Charakter des Unfertigen. Der Hauptraum der Familie ist auch kein Wohnzimmer im herkömmlichen Sinn. Er ist „Allraum“, Treffpunkt, Werkstatt – ein Raum zum Kochen, Essen, Arbeiten, Feste feiern, offen für Veränderungen jeglicher Art.