Haus im Haus

Umbau der Handelskammer Hamburg
in: BAUKULTUR 5_2009 (S. 34-36)

Unweit der Binnenalster und des Jungfernstiegs gelegen ist die Handelskammer Hamburg zusammen mit dem Rathaus das älteste klassizistische Bauensemble, das der Stadt erhalten geblieben ist. Als Institution ist die Handelskammer kritischer Partner der Politik, service-orientierter Dienstleister der Unternehmen und unabhängiger Anwalt des Marktes. Um dieser Mittlerfunktion auch in Zukunft gerecht zu werden, waren im Inneren des Gebäudes umfangreiche Umbaumaßnahmen notwendig geworden. Im vergangenen Jahr verlieh der AIV Hamburg dem neu entstandenen „Haus im Haus" die Auszeichnung „Bauwerk des Jahres".

Fotos: Hans Jürgen Landes

Konzept
Seit 2002 findet in der Börsenhalle der Handelskammer kein Parketthandel mehr statt. Im Rahmen des 2003 ausgelobten Wettbewerbs schlug das Büro Behnisch & Partner (Günter Behnisch und Manfred Sabatke) für die freigewordene Halle eine fünfgeschossige innere Konstruktion vor, die die Höhe des Bestandsgebäudes vollständig erfasste. Dieser mit dem 1. Preis ausgezeichnete Wettbewerbsentwurf wurde schließlich Grundlage für die weitere Planung, mit der das Stuttgarter Büro Behnisch Architekten betraut war.
Ziel war die Schaffung einer weitgehend transparenten, großflächigen Struktur. Bei der Ausarbeitung stellte sich jedoch heraus, dass verschiedene technische Anforderungen der Realisierung dieses Konzepts entgegenstanden. Das vorhandene Gebäude ist auf Eichenpfählen gegründet, sodass verschiedene Sicherungsmaßnahmen einschließlich eines erhöhten Brandschutzes eingeplant werden mussten. Außerdem sollte während der Bauarbeiten der normale Betrieb in der Halle möglichst ungestört weiterlaufen, weshalb viele Teile vorgefertigt werden mussten und nur in bestimmten Abmessungen geliefert werden konnten. Die gewünschte Leichtigkeit der Erscheinung konnte also nur über ein weiterentwickeltes Konzept erreicht werden: Immateriell entwickelt sich die Struktur heute in Scheiben und Ebenen, bewusst kontrastierend zu dem steinernen, schweren und materiellen Eindruck der historischen Halle. Hier die weichen Formen der Rundbogenkonstruktion, dort die klaren Linien der neuen Struktur. Die schwebend wirkende Installation, hell in ihrer Erscheinung aus leuchtenden, transparenten und reflektierenden Materialien, gleicht einem Schmuckstück, das Licht aufnimmt und in vielen Facetten reflektiert. Transluzente Bauteile und Spiegellamellen schaffen Trompe-l'oeuil-Effekte, manchmal flirrende Eindrücke und eine gewisse Maßstabslosigkeit.
Elemente der alten Halle werden durch Reflexion in die neuen Räume aufgenommen, während die eigentliche Begrenzung des „Hauses im Haus" im Unklaren bleibt. Weitere Effekte entstehen, wenn Sonnenlicht auf die teilweise gläsernen Böden trifft. Der Neubau wirkt wie ein Prisma, durch das die historische Halle in immer neuen Variationen wahrgenommen werden kann.

Foto: Hans Jürgen Landes

Nutzung
Im Erdgeschoss ist ein Existenzgründerzentrum untergebracht, das sich über eine Spindelstreppe bis in die darüber liegende Ebene erstreckt. Dort liegen die dazugehörigen Beratungsplätze und drei Besprechungsräume.
Die zweite Ebene ist durch eine Brücke mit dem Albert-Schäfer-Saal der historischen Halle verbunden und kann als Erweiterung bei Veranstaltungen genutzt werden. Büsten bedeutender Hamburger Bürger flankieren diese Ebene, die durch eine weitere Brücke mit dem Flurbereich der Präsesräumlichkeiten im Altbau verbunden ist.
Auf der dritten Ebene ist Raum für die Ausstellung der Handelskammer „Wir handeln für Hamburg". In einem weiteren Ausstellungsbereich werden die Bestände der Commerzbibliothek, der ältesten Wirtschaftsbibliothek der Welt, in eigens dafür entwickelten Vitrinen präsentiert. Die beiden Raumebenen darüber haben privateren Charakter und werden von kleineren internen Treppen erschlossen.
Auf der vierten Ebene befindet sich das Restaurant des Börsenclubs. Von der großzügigen Terrasse aus bietet sich dem Besucher ein guter Rundumblick.
Vom Restaurant führt ein Weg zur Lounge und zu den Kabinetten auf der fünften Ebene, vorbei an einer Vitrinenwand, in der weitere Exponate der Commerzbank zu sehen sind. Die für Besprechungen vorgesehenen Kabinette erzeugen durch ihre Proportion und Ausstattung mit textilen Materialien eine eigene Atmosphäre. Die edlen Teppichböden und schweren englischen Chesterfieldsofas schaffen zusammen mit den cremefarbenen Wandbespannungen weitere Kontraste zu den gläsernen und metallischen Strukturen des Einbaus. Ein antiker Lüster, nicht weit von einer neu entwickelten zeitgemäßen Lüstervariante mit LEDs hängend, verdeutlicht ein wichtiges Thema des „Hauses im Haus": Stimmungen des historischen Gebäudes werden aufgegriffen und neu interpretiert, in unsere Zeit übertragen, damit die lange Tradition des Hauses spürbar bleibt.
Durch das Band der historischen Bogenfenster und von einer über einen großzügigen Steg erreichbaren Terrasse auf dem Dach des Albert-Schäfer-Saals bietet sich ein schöner Ausblick über die Dächer der Hansestadt zum Rathaus.

Beleuchtung
Ein Haus innerhalb eines Gebäudes zu beleuchten und dabei die Wechselwirkung von Licht durchfluteten Fenstern der bestehenden Gebäudehülle oder deren Abenddunkelheit einzubeziehen, ist ungewöhnlich. Die Möglichkeit, Kunstlicht nicht als pure Notwendigkeit zu sehen, sondern zur transluzenten Entmaterialisierung der Gebäudestruktur einsetzen zu können, erlaubte einen neuen Denkansatz. Der leichte und immaterielle Charakter der neuen Struktur wird betont und gefördert durch das gemeinsam mit Nimbus Design entwickelte LED-Leuchtsystem.
Der komplette elektrotechnische und lichttechnische Aufbau des Systems musste völlig neu entwickelt werden, da am Markt keine passenden Komponenten verfügbar waren. Die Entscheidung für die smd-LEDs (small mounted device) entstand aus dem Wunsch nach weicher, gleichmäßiger Beleuchtung und der Vermeidung von grellen Einzellichtquellen. So entstand ein Lichtmodul in der Größe von ca.1x1 m mit 400 smd-led Lichtpunkten. Das Raster liegt auf einer 10 mm Plexiglasplatte, die mit 400 Kegelsenkungen für eine optimale Ausblendung sorgt. Durch das Einlenken von Lichtteilen in die Plexiglasplatte erstrahlt die Platte selbst als weiche, blendfreie Lichtquelle, ohne den Blick durch die Platte nach oben gänzlich zu versperren. Eine eigens programmierte Lichtsteuerung taucht die einzelnen Raumbereiche in sattes Arbeitslicht oder sie erhellen sie nur schwach, etwa als Wegebeleuchtung. So wird das Gebäude absolut energieeffizient beleuchtet, weil nur die jeweils benötigten Lichtstärken abgefordert werden können.
Abrufbare dynamische Lichtsequenzen sorgen für einen zusätzlichen Effekt: Auf Berühren des Touchscreens senden die LED-Module beruhigende Lichtwellen aus, die sich kaum merklich über die Lichtdecke bewegen. Die dynamische Lichtsteuerung ermöglicht auch poetische Szenarien: Lichtwolken, die über die Köpfe der Besucher ziehen, oder auch Sternschnuppen, die langsam verglühen.

Auszeichnungen
2007 Bauwerk des Jahres, verliehen vom AIV Hamburg
2007 Architectural Lighting Award, Commendable Achievement, Interior Lighting Category
2008 Chicago Athenaeum International Architecture Award
2008 BDA Hamburg Architektur Preis (3. Preis)
2008 Merit Award for Interior Architecture, verliehen vom AIA California Council (AIACC)
2008 IIDA's Best of Competition
2008 Winner of the 35th Annual Interior Design Competition, verliehen von der IIDA -
International Interior Design Association (1 von 5 Preisen)

Projektdaten
Bauherr: Handelskammer Hamburg, Hamburg
Projektsteuerung: Hamburg Team, Hamburg
Wettbewerb: Behnisch & Partner
Entwurf: Behnisch Architekten, Stuttgart
Projektleitung: Stefan Behnisch, David Cook, Martin Haas
Bauleitung und Rückbau Börse: 360gradplus, Hamburg
Statik: Wetzel & v. Seht, Hamburg
Haustechnik: TPlan, Berlin
Brandschutz: HHP, Braunschweig
Akustik: Akustik Beratung Jacobi, Hamburg
Lichtplanung: Nimbus Design (LED), Ulrike Brandi Licht
Hausleitsystem: ockert & partner, Stuttgart

Genderhinweis
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