Ein Überblick
(in: BAUKULTUR 3_2011, S. 30-32)
Der Membranbau hat besonders in den letzten zwei Jahrzehnten eine große Renaissance als Bauweise erlebt und rückt seither stetig in das Betrachtungsfeld von Architekten und Ingenieuren - nicht zuletzt fokussiert durch exzeptionelle Bauwerke wie die Allianz-Arena München, das Eden-Projekt in Cornwall, die Stadien der Fußball-Weltmeisterschaft in Südafrika und die Megastructure der Expo Shanghai 2010.
Deutsch-Chinesischer Pavillon EXPO 2010 Shanghai: Bambusbauwerk mit PVC-Membrandach und ETFE-Membranfassade (Foto: MUDI architects Shanghai, Markus Diem)
Ingenieurtechnische Herausforderung
Obwohl das Bauen mit Membranen in Form von textilen Einhausungen und Überdachungen als Abgrenzung eines menschlichen Schutzraums eine der ältesten Bauweisen darstellt, wurde erst Mitte des vergangenen Jahrhunderts eine vertiefte ingenieurtechnische Betrachtung vollzogen, angestoßen im Wesentlichen vom Architekten Frei Otto als Vertreter der organischen Formensprache im Bauwesen.
In vielen Fällen seither gleichberechtigt neben den klassischen Bauweisen mit Beton, Stahl, Holz, Glas angewendet und vermehrt von Planern im Entwurfsprozess berücksichtigt, bleibt der Membranbau jedoch auch heute noch aufgrund des spezifischen Know-hows einem vergleichsweise kleinen Kreis an innovativen und interdisziplinär agierenden Planungsbüros und ausführenden Firmen mit entsprechenden Praxiserfahrungen vorbehalten. Die Besonderheiten des Formfindungsprozesses, der direkte Zusammenhang zwischen der Form und den Materialeigenschaften, den geometrischen Randbedingungen, dem Vorspannzustand, dem Materialzuschnitt und dem Tragverhalten unter äußeren Einwirkungen sowie die materialgerechte Montage müssen im Planungsprozess von Anfang an berücksichtigt werden. Ein wesentliches Manko ist das Fehlen von spezifischen Normen oder fundierten Regelwerken für den Membranbau, die den technologischen Fortschritt der Bauweise und den Stand der praktischen und wissenschaftlichen Erkenntnisse darstellen.
Nouvelle Gare Belval-Usines Esch-sur-Alzette: Membrandach aus ETFE-Kissen (Foto: Hightex Group)
Konstruktive Vorteile
Aufgrund des geringen Eigengewichts sind Membrankonstruktionen prädestiniert für die Anwendung weitgespannter, freitragender Konstruktionen. Neben großflächigen Überdachungen, mobilen und wandelbaren Konstruktionen kommen Membranen zunehmend aber auch im Bereich der Gebäudehülle als Fassadenelement bzw. direkt als Klimahülle zur Anwendung. Wesentliche Anforderung von Bauherrn und Architekten ist neben dem geringen Materialgewicht, was i.d.R. zu einer Reduzierung der weiterführenden lastabtragenden Sekundärbauteile führt, zunehmend auch ein abgestimmtes Maß an Transluzenz oder Transparenz, um das einstrahlende Lichtspektrum bestmöglich für das Gebäudeinnere nutzen zu können. Diese Anforderungen lassen sich hervorragend mit modernen Membrankonstruktionen als leichten Hüllflächen mit besonders filigranen Tragkonstruktionen und außergewöhnlichen Gestaltungsformen realisieren. Neben architektonischen und konstruktiven Vorteilen zeichnen sich Membrankonstruktionen bei intelligenter Planung auch durch niedrigere Realisierungskosten gegenüber konventionellen Bauformen, wie z.B. dem konstruktiven Glasbau, aus. Mit einer je nach Material z.T. fast vollständigen Recyclingfähigkeit der Membranen und einem geringen Einsatz von Primärenergie für die Herstellung gelten diese Baustoffe auch als ökologisch und nachhaltig. Mit einem vergleichsweise geringen Aufwand lassen sich diese Systeme bei Bedarf auch einfach und teilweise sogar sortenrein wieder rückbauen.
Miroiterie Flon Lausanne: Membranfassade aus PTFE-/ ETFE-Kissen (Foto: Hightex Group)
Leistungsfähige Membranbaustoffe
Aus der historischen Entwicklung heraus bereits weit verbreitet ist der Membranbau mit Gewebemembranen, die durch permanent über die Konstruktion eingebrachte Vorspannung und einer entsprechenden antiklastischen Formgebung der Flächen gegen äußere Beanspruchungen stabilisiert werden. Vorwiegend werden heutzutage hierbei je nach architektonischen, konstruktiven, systembedingten aber auch monetären Anforderungen Membranen aus PVC (meist Polyestergewebe mit Polyvinylchlorid-Beschichtung), Silikon (meist Nylongewebe mit Silikon-Beschichtung) und PTFE (meist Glasfasergewebe mit Poly-Tetra-Fluorethylen-Beschichtung) eingesetzt. In jüngerer Zeit hat sich aus der Suche nach leistungsfähigen Membranwerkstoffen heraus, besonders für den Einsatz als transparente leichte Hüllkonstruktion als Pendant zum Glas, die Verwendung und innovative Weiterentwicklung von Fluorpolymer-Kunststofffolien aus ETFE (Ethylen-Tetrafluorethylen) als wegweisend erwiesen. Besonders die Entwicklungen auf dem Gebiet der Oberflächenveredelungstechniken, wie z. B. Funktionsbeschichtungen und -bedruckungen von Membranmaterialien, haben einen wesentlichen Innovationsschub für die Anwendung von Hochleistungsmembranen als flexible, intelligente Gebäudehüllen geleistet. ETFE-Folien werden überwiegend bei pneumatisch gestützten Kissenkonstruktionen (Einkammer- oder Mehrkammersysteme) eingesetzt, da dabei der relativ geringen Zugfestigkeit der Folie über die Steuerung der synklastischen Form am besten begegnet werden kann. Aber auch für mechanisch gespannte, ein- oder mehrlagige Membrankonstruktionen kommen die Folien zur Anwendung, z. B. als modulare Fassadensysteme. Eine Reihe besonderer Eigenschaften prädestiniert die ETFE-Folie für den Einsatz im Bereich der Gebäudehülle.
UV-Stabilität
Die Transparenz der Folie liegt je nach Dicke und Herstellungsverfahren bei über 95% und damit weit über der von Glas. Da die UV-Strahlung des Sonnenlichts in abgeminderter Intensität die Folie passieren kann, ist unter ETFE-Folienkonstruktionen ein natürliches Strahlenspektrum vorhanden, was die Konstruktionen u.a. für Tropen-/Pflanzenhäuser interessant macht. Durch die hohe UV-Stabilität der Folie selbst wird eine Lebensdauer von bisher nachweislich mehr als 30 Jahren ohne nennenswerte Änderung der Materialeigenschaften gewährleistet. Die chemische Verwandtschaft zu Teflon sorgt für ein schmutzabweisendes Verhalten, wodurch mit entsprechend vorhandenem Gefälle der Konstruktion bei Regen ein Selbstreinigungseffekt eintritt.
Bauphysikalische Bewertung
ETFE-Folien sind als Baustoff gemäß DIN 4102 in die Klasse B1 „schwer entflammbar“ in Verbindung mit „nicht brennend abtropfend“ eingestuft. Die bauordnungsrechtlichen Vorschriften können in einigen Fällen zu Einschränkungen bei der Anwendung der Folien führen. Da die Brandlast jedoch aufgrund der geringen Masse bei Materialstärken zwischen 50 und 300 mm sehr gering ist, kann in aller Regel eine positive Beurteilung durch objektspezifische Abschätzung des Gefahren- und Schädigungspotenzials erfolgen. Allerdings bestehen neben den genannten und zahlreicher weiterer Vorteile dieser innovativen Bautechnologie auch zahlreiche noch ungelöste bzw. in der Forschung und Entwicklung befindliche Fragestellungen, wie z. B. die grundlegenden Verbesserungspotenziale im Bereich der bauphysikalischen Bewertung und Auslegung. Die verwendeten dünnen Materialien bieten z.B. gegen den Wärmedurchgang nur einen geringen Widerstand, und die oft komplexe Formgebung der Membranflächen kann die Raumakustik ungünstig beeinflussen.
Forschungsgebiete
In den letzten Jahren wurden aus diesem Grund eine Vielzahl von Forschungs- und Entwicklungsvorhaben von Instituten, wie z.B. der Fraunhofer Allianz Bau oder dem ZAE Bayern, sowie den spezialisierten Firmen und Branchenvertretern angestoßen.
Insbesondere sind hier die Entwicklung von bauphysikalischen Bewertungs- und Rechenverfahren für mehrlagige Folienkissenkonstruktionen, die grundlegende Konstruktionsoptimierung zur Verbesserung der Wärmeschutzwirkung in Form von z. B. thermisch getrennten Befestigungsprofilen oder der Integration von lichtdurchlässigen Hochleistungsdämmstoffen (z. B. Aerogele), die Verklebbarkeit der Folien und die Entwicklung von low-e-Funktionsschichten (low-Emissivity) auf ETFE-Membranen zur Beeinflussung und Steuerung der Energietransmissionen zu nennen.