(in: BAUKULTUR 1_2012, S. 30-31)
Mit der Entwicklung von textilbewehrtem Beton ergeben sich seit einigen Jahren völlig neue Konstruktions- und Gestaltungsoptionen in der Fassadenarchitektur. Ob bei der (energetischen) Fassadensanierung öffentlicher Gebäude oder beim Neubau von Industrie-, Schul- und Verwaltungsbauten: Fertigteilelemente aus Textilbeton erweisen sich – eingesetzt als Vorhangfassade – durch ihr geringes Gewicht und ihre Freiheit in Bezug auf Farb- und Oberflächengestaltung als überzeugende Lösung.
Community College ROC Leiden in den Niederlanden mit betoShell®BIG-Fassade (Foto: Hering)
Vielfältige Vorteile
Elemente aus Textilbeton erlauben relativ kleine Betonüberdeckungen der Bewehrung, da die zur Verwendung kommenden Textilien korrosionsunempfindlich sind. Dadurch ergeben sich schlanke, großformatige und relativ leichte Bauteile, die während des Herstellungs- und Montageprozesses einfach zu handhaben sind. Zu den konstruktiven Vorzügen kommen auch wirtschaftliche und gestalterische Vorzüge. So kann z. B. bei Fassadensanierungen aufgrund der sehr dünnwandigen Elemente eine stärkere Dämmung angebracht werden, ohne den Volumenzuwachs der Fassade übermäßig zu erhöhen.
Forschung und Entwicklung
Schon 2004 entwickelte die TU Dresden gemeinsam mit dem Industriepartner Hering Bau eine 20 mm dicke und 1,20 m x 0,60 m große textilbewehrte Betonplatte zur Fassadenverkleidung. Kurz darauf erhielt das unter dem Namen betoShell® bekannte Produkt die „Allgemeine bauaufsichtliche Zulassung“ des Deutschen Instituts für Bautechnik. In Kooperation mit Prof. Josef Hegger und dem Institut für Massivbau der RWTH Aachen entwickelt das Unternehmen Hering Bau die Fassadenplatten bis heute stetig weiter. Vorrangiges Ziel ist es, die Formate der Elemente weiter zu vergrößern und die Gestaltungsmöglichkeiten im Bereich der Fassade zu erhöhen, ohne dass Stabilität und Festigkeit beeinträchtigt werden.
Schon heute können betoShell®XXL-Platten aus hochfestem Feinbeton mit bis zu 15 m² Fläche und einer Dicke von nur 35 mm zuzüglich zweier rückseitig angebrachter Verstärkungsrippen hergestellt werden. Durch die Vergrößerung der Elementfläche werden die Aufhängungen und der Fugenanteil reduziert. Hierdurch werden auch weniger Arbeitsschritte erforderlich. Das wiederum bedeutet kürzere Montagezeiten und einfacheres Handling der Fassadenelemente.
In Zusammenarbeit mit Prof. Manfred Curbach und dem Institut für Massivbau der TU Dresden entwickelte Hering Bau das textilbewehrte Fassadensystem betoShell®BIG mit einer maximalen Abmessung von 2,40 m x 1,20 m bei einer Dicke von nur 30 mm. Die Fassadenplatte ist als vorgehängte hinterlüftete Fassade universell an allen Gebäudetypen einsetzbar, und dies für charakteristische Winddrücke von bis zu 1,80 kN/m². Innovativ ist dabei auch die Bewehrung. Zum ersten Mal kommt hier eine zweilagige Bewehrung in Form eines so genannten 3D-Textiles zum Einsatz. Dieses SITgrid® genannte System wurde gemeinsam mit der Firma V. Fraas entwickelt und besteht aus zwei Textillagen im Abstand von 10 mm. Die beiden Lagen werden durch so genannte Polfäden drucksteif miteinander verbunden. Das Textil besteht aus alkaliresistenten Glasfaserrovings, für die vom DIBt inzwischen eine Zulassung erteilt wurde. Der besondere Vorteil in der Herstellung liegt darin, dass durch die Verwendung des 3D-Textiles nur noch zwei Betonierabschnitte erforderlich werden. Bisher musste der Beton bei zweilagiger Bewehrung in drei Betonierabschnitten eingebracht werden. Damit der Beton ungehindert seinen Weg durch die Öffnungen findet und keine Entmischung der Betonmatrix entsteht, müssen die Maschenweiten des Textiles und die Gesteinskörnungen des Betons in einer bestimmten Relation stehen. Am Institut für Baustoffkunde der Fakultät Bauingenieurwesen der TU Dresden kamen die textilbewehrten Fassadenplatten betoShell®BIG erstmalig zum Einsatz.
Musterplatte mit SITgrid®3D-Textilbewehrung (Foto: V. Fraas)
Nachhaltigkeit
Durch die textile Glasfaserbewehrung der betoShell®-Elemente und die spezielle Betonrezeptur werden extrem hohe Biege-, Zug- und Schlagfestigkeiten erreicht. Aufgrund dieser Eigenschaften ist betoShell® hervorragend geeignet für energetische Fassadensanierungen, aber auch für Neubauten. Zudem zeichnen sich die textilbewehrten Betonfassadenelemente durch eine enorm umweltschonende Herstellung aus und erfüllen somit die Forderung nach „Nachhaltigem Bauen und Konstruieren“. In der 2010 veröffentlichten Produktökobilanz erzielt betoShell® hervorragende Ergebnisse in Punkto CO2-Ausstoß, Ressourcen- und Energieeffizienz.
Gestaltungsvielfalt
Im Laufe vieler Jahre hat Hering Bau immer wieder neue Möglichkeiten zur Oberflächenveredelung von Fassaden und damit zur individuellen Gestaltbarkeit von Beton entwickelt. Zu diesen Möglichkeiten gehören der Schalungsbau ebenso wie die verschiedenen Fertigkeiten, den natürlichen Gesteinszuschlag freizulegen oder die Farbe des Betons zu variieren. Alle Elemente können mit einer fein gewaschenen, gesäuerten, gestrahlten oder geschliffenen Oberfläche hergestellt werden. Darüber hinaus gibt es noch Möglichkeiten, die Platten mit einer Reliefstruktur, BETOGLASS®–Elementen, einem Fotobetonmotiv oder einer lichtreflektierenden BLINGCRETE™–Oberfläche zu versehen. Maßstab sind die individuellen Wünsche des Planers und/oder des Bauherrn.
Community College ROC Leiden
Ein aktuelles Beispiel für den Einsatz von betoShell® Textilbeton-Fassadenelementen ist das im Sommer 2011 fertig gestellte Community College ROC Leiden. Für das bis zu 10-geschossige College- und Bürogebäude fertigte Hering Bau ca. 9.000 Elemente zur Verkleidung der ca. 9.500 m² großen Fassadenfläche. Zur Gestaltung wählte das Amsterdamer Architekturbüro RAU einen grün eingefärbten Beton mit gesäuerter Oberfläche.
Die Vorzüge von betoShell® lagen für die Architekten auf der Hand, wie der verantwortliche Architekt Thomas Rau erklärt: „Der Einsatz von betoShell® an der Fassade gab uns die Freiheit, sozusagen mit Beton auch wirklich in die Gestaltung, in die Textur, in die Oberflächen und in die Farbgestaltung einzugreifen. Darüber hinaus sind sowohl die Herstellung als auch der Transport und die Montage sehr wirtschaftlich.“