Für Vögel sichtbar

Glaskapelle in Wiesbaden
(in: BAUKULTUR 6_2012, S. 20-21)

Im Jahre 2003 wurde das Wiesbadener Büro Gresser Architekten beauftragt, eine Feldkapelle zu entwerfen. Ein privater Auftraggeber stellte das Grundstück in den Streuobstwiesen von Wiesbaden-Sonnenberg zur Verfügung. Seine Idee war, einen Andachtsraum zu schaffen und der Öffentlichkeit zugänglich machen. Die Planung wird als ein langer Weg der schrittweisen Annäherung beschrieben. Priorität hatte der Erhalt der besonderen Situation an der Nahtstelle von Streuobstwiesen und Wald. Baubeginn war im Jahr 2010.

Gresser 1
Der Andachtsraum besteht aus einem speziell beschichteten Isolierglas, das UV-Licht für Vögel sichtbar macht

Zonierung und Materialien
Die bauliche Anlage gliedert sich in 4 Elemente. Ähnlich einem „hortus conclusus“ ist ein Binnenraum entstanden, der von einer Trockenbruchsteinmauer umschlossen ist. Sie besteht aus Moselschiefer und einer fein gearbeiteten Abdeckung aus Beton. Innerhalb dieses Binnenraums führt ein Weg, gleich der „via dolorosa“, zum eigentlichen Andachtsraum aus Stahl und Glas,  einer „Glaskaaba“. Der Weg ist bewusst uneben gestaltet, lenkt somit den Blick auf Stufen und Pflastersteine und zwingt zum aufmerksamen Gehen. Der Weg zum Eingang führt unter einer geneigten Kreuzskulptur aus Cortenstahl hindurch, einem integralen Bestandteil des Gebäudes. Der rostroten Patina verdankt es seine Langlebigkeit. Das scheinbar Vergängliche des Rostens soll hier Nachhaltigkeit demonstrieren.
Im Gegensatz zu der Kreuzfigur, die unmittelbar aus dem Boden wächst, steht der Glaskubus auf einem schwarzen Granitpostament. Er besteht aus einer diagonalen, kreuzförmig angeordneten Stahlkonstruktion, auf der die Glasplatten mit Senkhaltern montiert sind. Auf dem Boden wird diese Kreuzfigur aus eingelegter Baubronze als Fugentrennung wiederholt.

Glasarchitektur und Vogelschutz
Glasscheiben können für Vögel zur tödlichen Falle werden. Eingesetzt wurde deshalb ein spezielles Isolierglas, das mit einer Beschichtung versehen ist, die UV-Licht für Vögel sichtbar macht. Im Unterschied zu Menschen sind Vögel in der Lage, UV-Licht zu sehen. Den Nachweis dieser Funktion erbrachten Versuche der Vogelwarte Radolfzell, die in das Max-Planck-Institut für Ornithologie integriert ist. Testergebnisse haben gezeigt, dass 76 % der Vögel auf die konventionelle Glasscheibe zugeflogen sind und das neu entwickelte Vogelschutzglas gemieden haben. Das verwendete Vogelschutzglas Ornilux wurde mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Designpreis „red dot: best of the best“ 2010.

Zur Entstehung des Bauwerks ist eine Publikation erschienen: Die Kapelle im Feld, Verlag Henrich Editionen, Frankfurt am Main, ISBN 978-3-921606-92-6.

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