Pfarrheim in Ingolstadt

Geerdete Bescheidenheit
(in: BAUKULTUR 1_2017, S. 20-21)

An Sakralbauten aus Beton scheiden sich die Geister: Was auf die einen zu nüchtern und zweckmäßig wirkt, ist für andere Ästhetik in Vollendung. Der Entwurf des neuen Pfarrheims Herz Jesu in Ingolstadt von bodensteiner · fest architekten stadtplaner vereint diese beiden Aspekte gekonnt: Sichtbeton, Glas und Holz verleihen dem minimalistischen Gebäude Eleganz, Anmut und eine geerdete Bescheidenheit.

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Sichtbeton, Glas und Holz prägen das Pfarrheim Herz Jesu in Ingolstadt (Foto: Florian Holzherr)

Ort mit Atmosphäre
Die Architekten haben mit dem neuen Pfarrheim einen Ort mit besonderer Atmosphäre geschaffen. Das Gebäude strahlt dem Kontext entsprechend Weite, Geborgenheit und eine meditative Ruhe aus. Es ersetzt den in der Nachkriegszeit als Notkirche errichteten und später als Pfarrheim genutzten Vorgängerbau. Der denkmalgeschützten Kirche von 1963 – ebenfalls ein Betonbau – steht nun ein klarer, moderner und minimalistischer Baukörper zur Seite, der sich mit seiner Materialität und dem Flachdach ganz bewusst von der Architektur der umgebenden Einfamilienhäuser absetzt, ohne sie jedoch zu dominieren.

Figur-Grund-Prinzip
Das entlang der Straßenseite gesetzte Gebäude zeigt sich offen und einladend: Die auffallend breite Fensterfront des Pfarrsaals gewährt Ein- und Ausblicke. Wandartige Träger sorgen für einen unverstellten Blick. Auf der oberen Etage unterbrechen ebenfalls großzügige Fensterflächen die grauen Sichtbetonflächen. Gestaltungsprinzip sind die zum Teil über Eck angeordneten Öffnungen, welche die Fassade nach dem Figur-Grund-Prinzip gliedern. Im kleinen Saal im Obergeschoss wiederholt sich die Übereckverglasung vertikal in Form einer Überkopfverglasung. Beim Figur-Grund-Prinzip bemüht sich das Gehirn, den Vordergrund (Figur) aus seinem flächigen oder räumlichen Umfeld (Hintergrund) optisch herauszulösen und zu erkennen. Was als Figur und Grund wahrgenommen wird, variiert bei unterschiedlichen Betrachtern.

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Die breite Fensterfront des Pfarrsaals gewährt Ein- und Ausblicke (Foto: Florian Holzherr)

Flexibles Raumkonzept
Mobile Trennwände reduzieren den Flächen- und Raumbedarf. Der Pfarrsaal lässt sich je nach Auslastung erweitern oder verkleinern. Die dem Saal vorgelagerte Terrasse erweitert bei schönem Wetter den Raum nach außen. Das flexible Nutzungskonzept passt sich den unterschiedlichen Veranstaltungssituationen und den heutzutage oftmals schwankenden Mitgliederzahlen an. Das Erdgeschoss beherbergt neben dem Foyer, Sanitär- und Nebenräumen einen Saal mit Küche und Veranstaltungstechnik, das Obergeschoss einen kleinen Saal, zwei Gruppenräume und die Technikzentrale.

Energiekonzept
Das Gebäude wird über einen Gas-Brennwertkessel mit Wärmerückgewinnung beheizt und ist mit einer Fußbodenheizung ausgestattet. Die Zuluft wird im Saal über Weitwurfdüsen, in den Gruppenräumen über Bodenkanäle eingeblasen. Die Absaugung im Saal erfolgt über eine Fuge an der Wand-Holzverkleidung bzw. wird in den Gruppenräumen über Deckenauslässe abgeführt. Das Flachdach ist für die Installation von Photovoltaikelementen vorgerüstet. Ziel war, die Technik so einfach und selbsterklärend wie möglich zu gestalten, um auch externen Nutzern die Bedienung zu erleichtern.

Betonarbeiten
Das Gebäude ist als Stahlbeton-Massivbau ohne Unterkellerung konzipiert. Für die Sichtbetonwände wurde Transportbeton der Festigkeitsklasse C25/30 verbaut. Als Trägerschalung kam eine schwach saugende Schalhaut der Schalhautklasse SHK3 gemäß DBV Merkblatt Sichtbeton zum Einsatz. Die Oberflächenqualität wurde als SB3 ausgeschrieben. Die Rezeptur mit Kalksteinmehl für den hellgrauen Sichtbeton haben die Architekten vorgegeben und in mehreren Schritten bemustert. Die Realisierung von Sichtbetongebäuden erfordert eine frühzeitige und umsichtige Planung in Abstimmung insbesondere mit der Haustechnik. Die größte Herausforderung waren hier die in die Decke eingelegten Lüftungsleitungen in Kombination mit den Leuchteneinbautöpfen. Beide waren aufgrund konventioneller Bauteilstärken eng auf die Deckenbewehrung abzustimmen.

Baustoff mit Patina
So umfangreich die Vorarbeiten bei einem Projekt sein mögen, für die Architekten überwiegen Wandlungs- und Anpassungsfähigkeit von Beton auch im Hinblick auf Farbe, Struktur, Fügung und Form. Während Gebrauchsspuren auf homogenen Flächen vor allem störend wirken, werden sie auf Betonwänden Teil der Patina. Auf die Feinabstimmung der eingesetzten Materialien und Farben legten die Architekten großen Wert. Wichtig war, dass der Zusammenklang stimmt. Bei diesem Projekt war es die Kombination des Betons mit dem Eichenparkett, dem silbergrauen Eichenfurnier und dem Schwarzstahl der Einbauten, die zusammen eine besondere Ausstrahlung entwickeln.

PROJEKTDATEN

Bauherr: Kirchenstiftung Herz Jesu     Ingolstadt mit Diözesanbauamt Eichstätt
Planung: bodensteiner · fest architekten stadtplaner bda, München
Tragwerksplanung: Haushofer Ingenieure GmbH, Markt Schwaben
Fachplanung: meac, München; Ingenieure Bamberger GmbH & Co. KG, Pfünz
Rohbau: Schiebel Bauunternehmung, Gaimersheim

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