Es kommt drauf an, was man draus macht

Ein Interview zum Thema Sichtbeton mit Ulrich Nolting, dem Geschäftsführer der Beton Marketing Süd GmbH, Ostfildern. Die Fragen stellte DAI Präsident Christian Baumgart.

Baumgart: Der Baustoff Beton und vor allem Sichtbeton ist bei Architekten und Planern wieder modern geworden. Welche Geschichte hat der Baustoff und wo kommt er ursprünglich her?

Nolting: Es waren die Römer, die schon im 3. Jahrtausend v. Chr. mit einem Gemisch aus gebranntem Kalkstein, Sand und Wasser einen Mörtel herstellten, mit dem sie die technische Basis für einen Werkstoff legten, der über die Jahrtausende hinweg die Bautechnik bestimmt hat und es bis heute maßgeblich tut: Der Baustoff Beton. Lange Zeit in Vergessenheit geraten, wurde er vor 200 Jahren wiederentdeckt und findet heute seine Anwendung in unzähligen Konstruktions- und Ausführungstechniken. Rund 50 % aller Bauwerke bestehen aus Beton, nicht zuletzt weil er beliebig formbar, dauerhaft und wirtschaftlich ist.
Baumgart: Beton gibt es in Form von Fertigteilen oder als Transportbeton. Was ist das besondere an diesem Baustoff?
Nolting: Beton hat viele Facetten. Die fast unbeschränkten Gestaltungsmöglichkeiten haben dazu geführt, dass Architekten mit dem Baustoff eine eigene Handschrift entwickeln. Und doch genießt er eine Hassliebe, die sowohl technologisch als auch emotional zu begründen ist. „Zubetonierte Landschaften“, „Betonwüsten in der Stadt“ und „Betonghettos“ sind nicht nur Begriffe, sondern auch Beispiele, die vor allem in den 1970er Jahren entstanden sind. Es gab und gibt jedoch Altmeister wie Alvar Aalto, Le Corbusier und Mies van der Rohe, aber auch Max Bächer, die schon früher und noch immer die Verwendung von Beton beherrschten. Tadao Ando, Axel Schultes, Daniel Libeskind und Stephan Braunfels sind Architekten, die uns heute mit ihren Projekten aus Beton überzeugen. Sie alle zeigen, wie durch die richtige Anwendung das Wesen dieses Materials sichtbar wird. Die Philosophien der Betonarchitektur bildeten sich aber nicht unabhängig vom Zeitgeschehen, sondern wurden vom jeweiligen Zeitgeist beeinflusst. Aus diesem entstanden wiederum neue Ansätze und Traditionen.
Baumgart: Was hat Beton als Material mit Architektur zu tun?
Nolting: Der „Marmor des 20. Jahrhunderts“ – so wird Sichtbeton vielfach bezeichnet. Welche Möglichkeiten und Gefahren in seinem Umgang liegen, hat der Architekt und Stadtplaner Max Bächer treffend beschrieben: „Als Gestaltungsmittel hat Sichtbeton überall dort einen legitimen Platz, wo das Bauwerk die Aufgabe hat, bestimmte Werte auszudrücken und ein entsprechendes Maß an Würde beanspruchen darf. Die Verlockung ist groß, sich seiner gestalterischen Mittel zu bedienen und die Frage, wo sie hingehören, zu vernachlässigen. In der Vielfalt der möglichen Formen liegen sein Reiz und seine Gefahr.“ Die architektonische Qualität eines Gebäudes hat nur selten mit der Wahl eines bestimmten Materials, immer aber mit seiner richtigen Anwendung zu tun. Die Anwendung wiederum wird bestimmt durch Eigenschaften und Wirkungen.
Baumgart: Die Planung mit Beton setzt bestimmte Kenntnisse im Umgang voraus. Worauf muss der Planer achten?
Nolting: Was kann das Material leisten und was nicht? Wie ist es aufgebaut und welche Wirkung ruft es hervor? Oder kurz, wofür kann man es verwenden und wofür taugt es nicht? Grundsätzlich gibt es keinen Stoff, der an sich häßlich oder minderwertig wäre. Jedes Material kann unter den Händen des Berufenen am rechten Platz schön sein, und jeder Stoff, auch der wertvollste, kann bei falscher Anwendung geschmacklos wirken. Allen Materialien ist jedoch gemeinsam, dass sie, wie auch immer, Form und Inhalt ausdrücken. Beton dagegen ist in seiner Entstehungsphase formlos. Die Entstehungsform des Materials ist gleichzeitig die Endform des Bauwerks. Hier liegt der wesentliche Unterschied zu anderen Baustoffen. Während der Architekt das vorgefertigte Industrieprodukt nicht oder nur indirekt beeinflussen kann, liegt beim Beton schon dessen Herstellung in seiner Hand. Die Einmaligkeit dieses Prozesses erfordert größte Sorgfalt beim Bau der Schalung und in deren Vorplanung. Wesentlich ist, dass es Zeit braucht, das Material kennen zu lernen und zu beherrschen.
Baumgart: Wo kommt Beton im Hochbau hauptsächlich zum Einsatz?
Nolting: Erfreulicherweise haben sich in den vergangenen Jahren wieder mehr Planer und Architekten mit dem Baustoff Beton und insbesondere der Planung mit Sichtbeton beschäftigt. In den letzten Jahren sind in Deutschland hervorragende Bauten aus Sichtbeton, entstanden. Es ist sehr erfreulich zu sehen, dass diese Gebäude nicht nur öffentliche Bauten sind, sondern dass der Baustoff Beton zunehmend auch Einzug in den privaten Bau findet und dort zu ausgezeichneten Ergebnissen führt.

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