Tot oder lebendig

Pilotvorhaben in Hamburg
(in: BAUKULTUR 6_2011, S. 17-19)

Erhaltenswerte Klinkerarchitektur

Im Unterschied zu den meist weiß verputzten Siedlungsbauten der Zwanziger Jahre in Berlin oder Frankfurt zeigen vergleichbare Siedlungen in Hamburg typischerweise dunkle Klinkerfassaden. Je nach Lichteinfall und Feuchtigkeitsgehalt changieren Klinker in einer vielfältigen Farbigkeit, erzeugen aufgrund ihrer unregelmäßigen Oberflächen und Kanten bewegte Schattenbilder, erfüllen die Fassaden mit Leben. Die bei sehr hohen Temperaturen gebrannten Steine sind naturgemäß sehr widerstandsfähig, nahezu wasserresistent und frostbeständig – leider jedoch weisen sie ein sehr schlechtes Wärmedämmvermögen auf. Was also bleibt zu tun, wenn original erhaltene Klinkerfassaden klimagerecht saniert werden müssen, noch dazu, wenn sie unter Denkmalschutz stehen? Diese Frage stand im Mittelpunkt der diesjährigen Pressefahrt des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz (DNK), die unter dem Titel „Backstein im Schlafrock? – Gutes Klima im Denkmal!“ nach Hamburg, in die Umwelthauptstadt Europas 2011, führte. Viele Wohnsiedlungen müssen hier in den kommenden Jahren saniert werden, versprechen die Hamburger Klimaschutzziele bis 2020 doch eine Reduzierung der CO2-Emissionen um 40 %.

DNK_HamburgAbb. links: Die rund geformten Terrassen verleihen der Dulsberg-Siedlung in Hamburg ihre markante einzigartige Prägung
Abb. Mitte: Fassadensanierung in der Schlettstadter Straße: Vollklinkerschale mit zwischen alter und neuer Mauerschale liegender Ordnung
Abb. rechts: Fassadensanierung in der Elsässer Straße: Wärmedämmverbundsystem in Klinkerimitatoptik

Dulsberg-Siedlung
Die unter Baudirektor Fritz Schumacher ab 1921 errichtete und heute denkmalgeschützte Dulsberg-Siedlung im Hamburger Norden gilt als besonders qualitätsvolles Beispiel des Neuen Bauens. In Nord-Süd-Richtung orientierte Zeilenbauten werden zu der im Norden verlaufenden Hauptverkehrsstraße durch Querriegel abgeschirmt. Auf diese Weise entsteht eine Reihung weiter und ruhiger Hofbereiche, deren Begrünung die Wohnqualität entscheidend beeinflussen. Die der Erschließung dienenden Laubengänge verbinden als horizontale Gliederungselemente die Fassaden. An den nach Süden orientierten Stirnseiten der Zeilenbauten öffnen sie sich in weit auskragende, rund geformte Terrassen, die der gemeinschaftlichen Nutzung der Bewohner dienen und der Siedlung ihre markante einzigartige Prägung verleihen.

Schadensbild Durchfeuchtung
Wie bei fast allen Backsteinsiedlungen dieser Zeit treten baukonstruktiv bedingte Bauschäden auch in der Dulsberg-Siedlung deutlich zu Tage: Die Mischkonstruktion aus Stahltragwerk und Mauerwerk begünstigte von Beginn an das Eindringen von Regenwasser, verursachte eine erhebliche Durchfeuchtung der Außenwände inkl. Folgeschäden wie Abplatzungen und Korrosion. In früherer Zeit durchgeführte Sanierungen, die eine Hydrophobierung (Imprägnierung) des Mauerwerks und teilweise auch einen Austausch des Fugenmörtels umfassten, schadeten mehr, als dass sie Abhilfe schafften.

Zwei Varianten der Sanierung
Als Pilotvorhaben wurden daher in diesem Jahr in der Dulsberg-Siedlung zwei Wohnblocks saniert: in der Elsässer Straße 15-19 und in der Schlettstadter Straße 3-5. Bei beiden wurden die Fassaden und Fenster erneuert, die Dächer gedämmt, die Laubengänge mit einem Wetterschutz versehen sowie die Rundbalkone verglast und zu Wohnraum umgebaut. In der Ausführung unterscheiden sich die beiden Sanierungen jedoch gewaltig. So erhielt das Gebäude in der Elsässer Straße als zweite wasserführende Schicht ein Wärmedämmverbundsystem mit Klinkerimitatoptik (sog. Meldorfer Klinker). Die ursprünglich bündig in der Fassade angebrachten Fenster sitzen nun in tiefen Laibungen, das einst „malerische“ Mauerwerk wirkt leblos. Die neu installierten Wetterschutzdächer entlang der Laubengänge ruhen auf eng gereihten Stahlstützen, die der horizontalen Fassadengestaltung eine ursprünglich nicht gewollte vertikale Komponente entgegen setzen. Zudem entstand im Übergang zwischen Laubengangmauerwerk und gedämmter Rundbalkonaußenwand ein Versprung in der Fassade, der ebenfalls die umlaufende horizontale Linie der Brüstungen optisch unterbricht. Dominant erscheint das bekrönende Dach, das die Fassaden der geschlossenen Rundbalkone vor weiteren Regenfällen schützen soll.
Im Unterschied hierzu erhielt das Gebäude in der Schlettstadter Straße eine echte Vollklinkerschale mit zwischen alter und neuer Mauerschale liegender Dämmung. Die Fenster sind mit einer Kragkonstruktion in die Vorsatzschale gelegt, sodass die Tiefe der Fensterlaibungen insgesamt möglichst gering gehalten werden konnte. Der Wetterschutz wurde über eine Hängekonstruktion befestigt und wirkt somit gestalterisch weitgehend leicht und zurückhaltend. Auch laufen die Brüstungen der Laubengänge bündig in die Brüstungen der Rundbalkone. Die Überdachung der Rundbalkone kam hier nicht zur Ausführung.

Rundbalkone
Aus denkmalpflegerischer Sicht besonders kritisch ist die Verglasung der runden Terrassen zu bewerten, nimmt sie doch der Siedlung ihr signifikantestes Gestaltungselement. Zumal die gemauerten Brüstungen nicht nur auf die Terrassen beschränkt bleiben, sie setzen sich in den Laubengängen fort, umlaufen den gesamten Hofbereich, um auf der anderen Seite wieder in die Terrassen des benachbarten Blocks zu münden. Darüber hinaus bleibt bei der Umwidmung zu privatem Wohnraum auch der soziale Aspekt der gemeinschaftlichen Nutzung völlig unberücksichtigt. Alles in allem muss diese rigorose Maßnahme jedoch im Kontext der Finanzierung gesehen werden. Die Erweiterung von Wohnflächen erhöht die Mieteinnahmen. Und während die Kosten für die Kunststofffassade in der Elsässer Straße vom Eigentümer getragen wurden (mit einer Förderung von 15 Euro/m²), standen für die Klinkerfassade in der Schlettstadter Straße erhebliche Mittel der Hamburger Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt zur Verfügung (50 Euro/m²). Immerhin hat die Erfahrung mit den beiden Varianten zu dem Beschluss geführt, Kunststofffassaden zukünftig nicht mehr finanziell zu fördern. Vielmehr gilt die Vollklinkerschale als ideale Lösung für eine Fassadenerneuerung. Gegenwärtig führt das Denkmalschutzamt systematisch Langzeituntersuchungen zum Wärmedurchgang im Mauerwerk durch, die Ergebnisse sollen noch in diesem Jahr vorliegen. Das Pilotprojekt in der Schlettstadter Straße soll nach seiner Fertigstellung ebenfalls noch in diesem Jahr evaluiert werden.

Harmonisierung von Denkmalschutz und Klimaschutz
Um den baukulturellen Wert historischer Klinkerbauten zu erhalten und gleichzeitig ihre Energieeffizienz zu verbessern, bedarf es innovativer Lösungen. Vor diesem Hintergrund initiierte das Denkmalschutzamt Hamburg in diesem Jahr das länderübergreifende Projekt CO2OL Bricks. Beteiligt sind nahezu alle Länder aus dem Norden Europas, deren Stadtbilder durch Klinkerarchitektur bestimmt werden. Neben der Überprüfung und Optimierung vorhandener Lösungen sollen in verschiedenen Ländern Pilotprojekte beispielhaft energetisch saniert werden und dem Erfahrungsaustausch dienen. Das Projekt wird mit 4,3 Mio. Euro gefördert, allein 600.000 Euro stellt die Stadt Hamburg bereit.

Geeignetes Fugenmaterial
Zur Untersuchung der Schlagregendichtigkeit von Ziegelfassaden führt das Denkmalschutzamt Hamburg gemeinsam mit dem Norddeutschen Zentrum für Materialkunde von Kulturgut e.V. (ZMK) und dem Eigentümer der ebenfalls in den 1920er Jahren entstandenen Siedlung Jarrestadt derzeit ein Langzeitmonitoring durch. Nachdem dort die 2006 durchgeführte Mörtelsanierung erfolglos geblieben war, werden nun anhand von Probefeldern insgesamt 12 verschiedene Mörtelzusammensetzungen unter realen Bedingungen über alle Jahreszeiten hin erprobt. Entscheidend dabei ist die Diffusionsoffenheit des Materials. Um eine Durchfeuchtung des Ziegels zu vermeiden, muss der Mörtel die Feuchtigkeit wieder nach außen abgeben können.

Genderhinweis
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit verwenden wir in unseren Inhalten bei Personenbezeichnungen und personenbezogenen Hauptwörtern überwiegend die männliche Form. Entsprechende Begriffe gelten im Sinne der Gleichbehandlung grundsätzlich für alle Geschlechter. Die verkürzte Sprachform hat nur redaktionelle Gründe und beinhaltet keine Wertung.

Informiert bleiben, Partner finden, Baukultur erleben!

Verband Deutscher Architekten- und Ingenieurvereine e.V. Mitgliederzeitschrift Mitglied werden