Großer DAI Preis für Baukultur

Laudatio
(in: BAUKULTUR 1_2013, S. 11-13)

Prof. Dr.-Ing. Drs. h.c. Jörg Schlaich erhielt im Rahmen des diesjährigen DAI Tages in Stuttgart den Großen DAI Preis für Baukultur. Die Laudatio, die hier in stark gekürzter Form wiedergeben ist, hielt Prof. Volkwin Marg. Die vollständige Version finden Sie unter folgendem Link: Laudatio

Meine Damen und Herren,
lieber Jörg Schlaich,

wer inmitten Europas und quer durch Deutschland, z. B. nach Stuttgart fliegt, begreift im Fluge und im Überblick: Wir leben in einem seit 2.000 Jahren kultivierten Land (wie in einem Garten Eden). Aus der Nähe betrachtet ist diese Kulturlandschaft in permanentem Wandel, durch Menschen, die sie sich in immer neuer Form zu Eigen machen und umgestalten. Diese permanente Re-Kultivierung unseres Gartens Eden braucht die permanente Pflege durch Baukultur. Baukultur ist das Ganze eines höchst komplexen Kultivierungsprozesses für die Umweltgestaltung. Wenn wir diese Kultivierung nicht aufgeben wollen, bleibt uns notwendig nichts anderes übrig, als interdisziplinär zu kooperieren, um wenigstens gemeinsam wie Generalisten agieren zu können. Also muss die Parole heißen: Landschaftsgestalter, Stadtplaner, Bauingenieure, Architekten – vereinigt Euch!

Gesucht werden hierfür wegweisende Führungspersönlichkeiten. Eine solche Persönlichkeit ist unser Preisträger Jörg Schlaich. Er hat immer wieder Brücken gebaut, Landschafts- und Stadtgestaltung, Ingenieure und Architekten, Technik und Kunst miteinander verbunden. Darum zeichnet ihn heute der DAI mit dem Großen DAI Preis für Baukultur aus.

Es ist mir eine große Ehre, die Laudatio zu diesem DAI Preis halten zu dürfen, weil auch ich Dir persönlich – lieber Jörg –viel zu verdanken habe. Es gibt unzählige Publikationen über Dein Wirken, darum beschränke ich mich auf das Wesentliche. Ein Buch der Edition Axel Menges, von Alan Holgate, kennzeichnet Dich als einen Baukünstler: „The art of engineering – the work of Jörg Schlaich and his team“. Der Titel meint ganz wörtlich Ingenieur-Kunst. Wie Baumeister Baukunstwerke schaffen, schaffen Ingenieurkünstler Ingenieur-Kunstbauwerke. Was Dich und Dein Team bei seiner besonderen „art of engineering“ bis zum heutigen Tag auszeichnet, ist das Baumeisterliche, die Symbiose von Technik und Kunst.

Du warst immer ein Teamarbeiter. Das dokumentiert ein weiteres, fast schon enzyklopädisches Buch des Prestel Verlags, als Katalog zur Ausstellung im Deutschen Architekturmuseum 2003 und mit dem Titel: „leicht weit – light structures, Jörg Schlaich – Rudolf Bergermann“ erschienen. Darin hast Du Dein Verständnis vom Entwerfen als Teamarbeit dargelegt, und zwar als eine Hommage an Rudolf Bergermann, dem Du seit 1967, seit der gemeinsamen Arbeit am Münchener Olympiastadion, verbunden bist: „Von Anfang an und bis heute hat jeder von uns immer das angepackt, was im Moment nötig war, ohne dass es dazu vieler Worte brauchte, offenbar weil wir in allen grundsätzlichen Fragen derselben Meinung sind und bis heute stets alles brüderlich teilen. Dazu gehört vor allem, dass wir sehr früh auch in allen Fragen des Entwerfens und Konstruierens eine gemeinsame Auffassung und Haltung fanden, sodass die Frage, welcher Entwurf von wem stammt, nicht beantwortet werden kann und völlig überflüssig ist.“ Und an anderer Stelle schreibst Du weiter: „Ebenso wie meine Zusammenarbeit mit Rudolf Bergermann durch die gemeinsame Verantwortung für jedes Projekt gekennzeichnet war, sollen hier auch die Einzelverdienste unserer jüngeren Partner zitiert werden. Sie dürfen und sollen für sich in Anspruch nehmen, dass dies nun ihr Büro ist, ihre Verantwortung, ihr Erfolg und hoffentlich auch ihre berufliche Erfüllung und Freude. Ob sie’s, wie wir’s gerne hörten, von uns oder selbst erfahren haben, auf jeden Fall freuen wir uns, dass auch sie untereinander beherzigen, dass in unserem Beruf  – in höchstem Maße verkörpert durch Rudolf Bergermann – Oberflächlichkeit genauso schädlich ist wie Spezialistentum, dass man sein Wissen immer erneuern muss, aber nie alles selbst wissen kann und deshalb aufeinander angewiesen ist – wobei der, der offen gibt, am meisten bekommt. Zuverlässigkeit und absolutes Vertrauen in fachlicher und menschlicher Hinsicht (...) sind das Fundament einer fruchtbaren Zusammenarbeit und eines sinnvollen Werkes.“

Es war auch für mich ein Glücksfall, dass ich vor 25 Jahren auf Dich – und damit auf Euch – getroffen bin. Ich hatte ganz dreist vor dem 800-jährigen Stadtjubiläum Hamburgs mit einer unbedachten Skizze für die gläserne Überdachung des Hofes des Museums für Hamburgische Geschichte die hanseatischen Honoratioren animiert, alle ihre Spendengelder in Höhe von 3,5 Mio. DM für ein Glasdach über dem Baudenkmal herzugeben. Nun hatte ich plötzlich das knappe Geld, nur 6 Monate Zeit, meine Verheißung als simple Skizze, aber einen entsetzten Denkmalpfleger, der das Schlimmste für sein Kleinod befürchtete. Wie die Idee eines schwebenden Glasgewölbes, dazu auch noch billig und schnell zustande bringen? Konventionelle Lösungen taugten dafür nicht. Es musste eine völlig neue Struktur erfunden werden, und so wandte ich mich an Jörg Schlaich. Er verwandelte prompt meine Not in seine Tugend. Eure vorgespannte filigrane Stahl-Gitterschale wurde zu einer bestaunten terminlichen und finanziellen Punktlandung. Diese Eure Erfindung wurde zugleich zur Mutter unzähliger ähnlicher Glasgewölbe in aller Welt.

Seither haben wir permanent zusammen entworfen, und unser beider Teams auch: Türme, Brücken, weit gespannte Dächer, Bahnhöfe, Stadien, mittels Seilstrukturen, Raumtragwerken, Holzrautengewölben, Membrandächern, tensegren Turm- oder Kuppelkonstruktionen. Viele unserer gemeinsamen Entwurfsideen konnten wir bauen, aber so manche Idee ist auf dem Papier geblieben, zu unser aller Enttäuschung, z. B. die durchsichtige tensegre Stabnetzkuppel mit fast 400 m Durchmesser, federleicht, filigran, mit transparenten Luftkissen gedeckt, als leichtes Dachgewölbe unseres Wettbewerbsentwurfs von 2003 für das Olympiastadion in Peking. Anstelle dessen wurde das 45.000 t schwere Vogelnest ausgewählt und gebaut - für das sich die Vögel wohl genieren, wie Du einmal spöttisch bemerktest.

Woher kommt Eure Lust am Gestalten, im Ganzen wie im Detail? Ich möchte auch das Jörg Schlaich selbst beantworten lassen, mit nur wenigen Stichworten aus einem Gespräch mit Ingeborg Flagge, die ich im Ausstellungskatalog von 2003 ausgewählt habe:

Was ist für Sie das Faszinierende an Ihrem Beruf?
„Diese unauflösliche Mischung von naturwissenschaftlichem und intuitivem, von deduktivem und induktivem Herangehen an immer neue Aufgaben. Dass es deshalb für jede noch so eindeutige Aufgabe unzählige subjektive Entwürfe gibt und man immer wieder seine eigenen neu erfinden kann.“  

Der Schriftsteller Stefan Zweig sprach einmal von der „Not des Schöpferischen“. Gibt es diese Not auch für den Bauingenieur?
„Aber ja. Natürlich gibt es den spontanen Einfall, bei dem etwas im Hinterkopf Gespeichertes plötzlich abgerufen wird, aber normal ist die mühsame Lust: Den Ort anschauen, grübeln, skizzieren, abschätzen, gewichten, wieder und wieder skizzieren, unzufrieden weglegen, kämpfen, schwanger gehen, andere fragen, schwitzen, bis sich schließlich aus einer Vielzahl von Alternativen die Lösung herausschält.“

Stichwort Brücken: Über das Nachlassen von deren Qualität im öffentlichen Raum.
„Die Gesellschaft, wir alle müssen lernen, dass auch im Ingenieurbau Qualität ihren berechtigten Preis hat und die gebaute Infrastruktur nur durch Kultur zur Zivilisation wird. Die einzig adäquate Gegenleistung für verbaute Natur ist Baukultur.“  

Stichwort Arme Länder: Sie haben in Kalkutta eine Brücke gebaut und sich dazu etwas Besonderes einfallen lassen. Im Zusammenhang mit solchen Bauaufgaben sprechen Sie immer wieder von sozialer Kompetenz. Was bedeutet das für Sie?
„Es sollte mal auf meinem Grabstein stehen, dass ich an dieser Brücke mitarbeitete. Die Hooghly-Brücke ist das Bauwerk, von dem wir am ehesten behaupten können, als Ingenieure etwas für die Menschen getan zu haben. Wir haben über 20 Jahre mit diesem Bauwerk in Kalkutta gerungen. Es sollte ohne Importe gebaut werden, um Arbeit vor Ort zu schaffen. Weil es weder schweißbaren Stahl noch Schweißgeräte gab, wurden wir mit der Aufgabe konfrontiert, die Brücke so zu entwerfen, dass sie genietet werden kann. Das muss man sich vorstellen – eine 1.000 m lange Schrägseilbrücke nieten! Die Brücke hat so einen eigenen Charakter, könnte nicht schöner sein, weil wirklich nichts Unnötiges dran ist. Die Nieten geben der Stahlfläche eine schöne Struktur. Der Bau hat tausende Familien ernährt. Für die Menschen in Kalkutta ist das ihre Brücke – was will man mehr?“  

Da erkennt jemand Gott bei seinem Glücksgefühl durch schöpferische Arbeit und verbindet das mit mühsamer Lust (einzigartig die Kombination von Mühsal + Lust). Da beklagt sich jemand, dass so viele Ingenieure die Chance des Erfindens so wenig nutzen, weil Ingenieure so wenig sinnlich entwerfen (während Architekten so wenig logisch konstruieren). Da verausgabt er sich 20 Jahre lang mit einer genieteten Brücke, weil nur so arme Menschen in Lohn und Brot kommen.

Lieber Jörg, Du bist überzeugt und hast bewiesen, dass man als Einzelner etwas bewirken kann. Du hast Beispielhaftes für die Baukultur bewirkt, allein und mit dem Team, das Du um Dich geschart hast. Ihr habt gebaute Schönheit geschaffen, durch die Qualität Eurer Ingenieurkunstwerke, mit Ästhetik die Menschen von ihrer Güte überzeugt.

Dir – unser aller Dank!

Volkwin Marg

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