Internationale Bauausstellung 2010
(in: BAUKULTUR 5_2016, S. 22-23)
In den Jahren 2003–2010 war Aschersleben einer der Referenzstandorte der Internationalen Bauausstellung IBA Stadtumbau 2010, die sich in Sachsen-Anhalt mit dem Phänomen schrumpfender Städte beschäftigte. Insgesamt 19 IBA-Städte hatten mit Unterstützung von Experten des Bauhauses Dessau Ideen entwickelt, wie mit den Auswirkungen des demografischen Wandels kreativ umgegangen werden kann.
Stadtzentrum von Aschersleben, 2012 (Stadt Aschersleben)
Drei Kernprojekte
In Aschersleben hatte die IBA drei Kernprojekte: die Umgestaltung der Ortsdurchfahrt zur DRIVE THRU Gallery, die Umwandlung der Industriebrache der ehemaligen VEB OPTIMA zum Bildungszentrum Bestehornpark und die Revitalisierung des Eine-Flusslaufs zwischen dem Wohngebiet Pfeilergraben und der Altstadt.
Ausgangslage 2003
Aschersleben hatte seit 1990 rund 7.000 Einwohner durch Abwanderung verloren. Die Einwohnerzahl war von 33.000 auf 26.000 gesunken. Prognosen sagen für das Jahr 2020 eine Zahl von 20.000 Einwohnern für die Kernstadt (ohne Ortsteile) voraus. In den zu DDR-Zeiten erbauten Neubaugebieten (Plattenbauweise) wuchsen die Leerstandsquoten nach der Wende sukzessive. Im Wohngebiet Helmut-Welz-Straße am nordöstlichen Stadtrand war die Quote mit 40 % eine der höchsten im Stadtgebiet. In Aschersleben treffen drei Bundesstraßen aufeinander. Es gibt keine Umgehungsstraße. Die Folgen waren ein enormes Verkehrsaufkommen auf der Durchfahrtsstraße (im Jahr 2002 20.000 Autos pro Tag) und eine hohe Beeinträchtigung der Wohnsituation durch Lärm und Abgase. Im Jahr 2003 stieg die Leerstandsquote entlang dieser Straße auf ca. 40 %. Die 3 ha große innerstädtische Industriebrache VEB OPTIMA verschandelte als größter städtebaulicher Missstand das Stadtbild. Das Hauptgebäude befindet sich direkt an der Ortsdurchfahrt und wirkte extrem imageschädigend. Die Flächen waren für die Bevölkerung nicht begehbar. Aschersleben verfügt über eine gut erhaltene Bausubstanz in der historischen Altstadt. Die Stadtsanierung war seit 1990 gut vorangeschritten.
Stärkung des Zentrums
Kann eine Stadt schrumpfen, ohne dass die Lebensqualität für die Bevölkerung sinkt? Oder könnte eine solche Entwicklung nicht sogar eine Chance für mehr Lebensqualität sein? Aschersleben nahm sich dieser Fragen als eine der ersten Städte in Sachsen-Anhalt an und stellte sich den damit verbundenen Herausforderungen. Das Aschersleber IBA-Thema lautete „Von außen nach innen – Konzentration auf den Kern“. Stärkung des Zentrums bedeutete hier, wichtige Einrichtungen wie Schulen und Behörden vom Stadtrand ins Zentrum zu verlagern, attraktiven Wohnraum in der Altstadt zu schaffen und den Einzelhandel zu stärken. Schwächung der Ränder hieß, Wohnblöcke, Leitungen und Schulen an der Peripherie zurückzubauen.
DRIVE THRU Gallery: Ausstellung „Hitzefrei“ mit Arbeiten von Christopher Winter (Foto: Doreen Ritzau, © IBA-Büro GbR)
DRIVE THRU Gallery
Die entscheidende Schnittstelle zwischen außen und innen ist in Aschersleben die Bundesstraße, die sich wie eine Klammer um die Altstadt legt. Diese Ortsdurchfahrt hat über Jahrzehnte das negative Image von Aschersleben bestimmt, denn 17.000 Autos, darunter viele LKWs, bahnten sich dort täglich auf drei Bundesstraßen (B6/B180/B185) ihren Weg durch die Stadt. Sie verursachten Lärm und hinterließen Dreck. Herkömmliche stadtplanerische Methoden griffen nicht mehr, und so entschied sich die Stadt, marode Bausubstanz abzureißen und Platz für Neues, für Nahversorger, Gewerbebetriebe, Bildungseinrichtungen, aber auch für Kunst zu schaffen. An diesem Punkt entstand die Idee der DRIVE THRU Gallery, einer Galerie, die Kunst für Autofahrer erlebbar macht. Bau-lücken wurden mit künstlerischen Installationen oder temporären Interventionen geschlossen. Dabei handelte es sich um großformatige Bilder, Fotografien, Schülerkunst, Licht-installationen, Recyclingmöbel und kreative Sichtschutzwände. An vielen Stellen entstand neuer urbaner Raum, der zur Auseinandersetzung mit alltäglichen Sehgewohnheiten anregte. Die weitere Bespielung der DRIVE THRU Gallery ist auch nach Beendigung der IBA erklärtes Ziel der Stadt.
Bildungszentrum Bestehornpark
Das Bildungszentrum Bestehornpark, im Jahr 2003 noch eine verfallene Industriebrache der ehemaligen VEB OPTIMA, vor 1945 Bestehornsche Papierwarenfabrik, war das zentrale Projekt im Rahmen der IBA Stadtumbau in Aschersleben. In seiner Dimension einer Kathedrale gleich, dominierte das Produktionsgebäude von Stadtbaurat Hans Heckner aus dem Jahr 1911 die übrigen Bauten der Stadt. Aufgrund seiner strategischen Lage an der Bundesstraße und am Rande der Altstadt sowie nicht zuletzt aufgrund seiner ideellen Bedeutung kam der Revitalisierung dieser Industriebrache eine herausragende Rolle im IBA-Prozess zu. Der ehemals nach außen abgegrenzte Ort wurde nach einem Entwurf des Stuttgarter Büros LRO Lederer Ragnarsdóttir Oei geöffnet. So entstand ein großer Bildungscampus, der durch die landschaftsgärtnerische Konzeption der Landesgartenschau zusätzlich einen grünen Park erhielt. Während der Schau im Jahr 2010 beherbergte der Riegelneubau die Blumenhalle und eine Kunstausstellung. Nach Umbau und Sanierung befinden sich im Bildungszentrum heute zwei Grundschulen, eine freie Sekundarschule, eine freie Berufsfachschule, eine Kreativwerkstatt sowie die Grafikstiftung Neo Rauch. Im Jahr 2012 hat die Stadt das Bildungszentrum um eine Zweifeldsporthalle ergänzt. 2014 wurden die Außensportanlagen fertiggestellt.
Promenadenring (Foto: Stadt Aschersleben)
Renaturierung der Eine
Das Harzflüsschen Eine durchfließt den südlichen Teil Ascherslebens und ergänzt fast spiegelbildlich den Innenstadtring, der die Altstadt umfasst. Im Rahmen der IBA gelang es der Stadt, durch eine geschickte Bodenpolitik Flächen von Eigentümern zu erwerben und so den Flussverlauf in weiten Teilen für neue Gestaltungsmöglichkeiten zu gewinnen, um ihn dann der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. In der Folge entstanden ganze Uferzonen neu, die vorher über Jahre überwuchert und brachliegend aus dem Bewusstsein der Bevölkerung verschwunden waren. Ein flussbegleitender Weg ist landschaftsgärtnerisch gestaltet worden. Die „Eine-Terrasse“ an der Steinbrücke, eine Teilfläche der Landesgartenschau, fügt sich darin nahtlos ein. Sie bietet Sitzplätze im Grünen und überspielt einen Geländesprung, der mit einer weiten Wiese an der Eine endet. Ein Durchbruch durch eine alte Friedhofsmauer führt direkt in den Stadtpark mit dem Rosarium und dann weiter zum Bestehornpark. Das Büro lohrer.hochrein landschaftsarchitekten aus Magdeburg plante die Gestaltung der Ufer der Eine und gab dem neuen Landschaftsraum eine völlig neue Prägung. Ökologisch und atmosphärisch ist das Projekt ein Zugewinn für die Lebensqualität in der Stadt. Die an die Eine grenzenden Grundstücke haben an Wert gewonnen und sind für eine Bebauung attraktiver geworden. In der Zukunft stehen hier Grundstücke zur Ausdehnung des Stadtkerns zur Verfügung.