Einleitung
Im Architektenjargon gibt es den Begriff des Bauens auf der grünen Wiese. Jeder Planer träumt davon, einmal ohne irgendwelche hemmenden Rahmenbedingungen bauen zu dürfen und sich so für die Nachwelt in bleibende Erinnerung zu rücken, sich quasi ein Denkmal zu setzen. Bei der Generalsanierung „Regentenbau, Arkadenbau und Wandelhalle“ in Bad Kissingen handelt es sich um Bauen im Bestand mit der zusätzlichen Erschwernis, dass die Gebäudeanlage zu den bedeutendsten Denkmälern Bayerns zählt. Gerade bei solchen Bauaufgaben wird allen beteiligten Planern und Bauleuten die gesamte Palette ihres fundierten fachlichen Könnens abverlangt, jedoch unter Hintanstellung eigener Eitelkeiten, zumindest aber Respekt vor den Intentionen der alten Meister. Gleichzeitig ist es eine Gelegenheit der lebhaften Begegnung und des Dialogs mit Menschen aus einer vergangenen Zeit, in unserem Falle mit großen bayerischen Architekten und Künstlern in ihrer Zeit. Seit Friedrich von Gärtners und Max Littmanns Bautätigkeit für Bad Kissingen gab es im Bereich der Kuranlagen keine so maßgebliche Baumaßnahme wie die jetzt fertig gestellte Generalsanierung. Auslöser war zunächst die größtenteils noch bauzeitliche Haustechnik, die bis dato lediglich Reparaturen erfahren hatte. Entsprechend konnte der räumliche Komfort zuletzt weder heutige Zuschauer- noch Veranstalteransprüche befriedigen. Eine knackende Heizung und schlechte Raumdurchlüftung wirkten ebenso nachteilig wie eine eher improvisierte Bühnentechnik.
Bauen im Geigenkasten
Der Große Saal im Regentenbau gehört anerkannt zu den 20 besten Konzertsälen Europas. Die festgestellten Nachhallzeiten harmonieren mit den Frequenzbereichen der klassischen Instrumente und ergeben ein optimales Klangbild. Die Usher Hall in Edinburgh oder die Symphony Hall in Boston beispielsweise haben vergleichbare Werte. Sie liegen zwischen 1,3 und 1,8 Sekunden Nachhallzeit, je nach Frequenz.
Es galt, die komplette Haustechnik auszutauschen sowie die moderne Medien- und Bühnentechnik des 21. Jahrhunderts zu integrieren. Auch Statik und Brandschutz mussten ertüchtigt werden, ohne die weithin berühmte Akustik zu beeinträchtigen.
Gravierend für die notwendige Sanierung waren jedoch auch oder gerade sicherheitsrelevante Defizite im Bereich des Brand- und Personenschutzes. Parallel dazu galt es, den Zustand von Gründung und Tragkonstruktion zu hinterfragen und gegebenenfalls zu korrigieren. Zusätzlich eröffnete die Maßnahme die Gelegenheit für längst fällige Korrekturen an der Raumschale, die über die Jahrzehnte mit allerlei modischen Überfassungen je nach Zeitgeschmack verunklärt worden war. Es galt, den ursprünglichen Glanz dieser herausragenden Architektur zurückzugewinnen, die in der Vergangenheit mit dem weltweiten Ruf Bad Kissingens maßgeblich assoziiert wurde.
Rahmenbedingungen
Die Baumaßnahme wurde in Bauabschnitte unterteilt, um zum einen den für Bad Kissingen lebensnotwendigen Kurbetrieb so wenig wie möglich zu behindern, zum anderen wegen der in der deutschen und europäischen Kulturszene bedeutsamen Highlights »Kissinger Sommer« und »Kissinger Winterzauber«. Aufgrund solcher Vorgaben verblieben äußerst beengte Terminpläne, die selbst kleinste Zeitverschiebungen nicht erlaubten. Umso mehr war es notwendig, offene Zeitfenster effizient zu nutzen. Phasenweise arbeiteten die Handwerker in der Nacht und an Wochenenden. Hierzu bedurfte es jedoch der intensiven Absprache mit der Stadt Bad Kissingen als Hüterin der Immissionsschutzverordnung zum Schutze der Kur.
Zu diesem sehr engen zeitlichen Korsett gesellte sich noch ein finanzielles. In jedem Altbau, der umgebaut wird, lauern bekanntlich Überraschungen, die im Vorhinein nicht zu erkennen und folglich in der Kostenaufstellung nicht erfasst sind. Eine diesbezüglich auskömmliche Grundlagenforschung gibt es leider nur in der Theorie, hätte sie doch die Außerbetriebnahme sämtlicher Räumlichkeiten zur Folge gehabt. Oft galt es, mit Augenmaß und dem Wissen um eine bald hundertjährige »Bewährungsprobe« der vorgefundenen Bauteile, nur im Notfall Ergänzungen vorzunehmen. Dennoch mussten für einen künftig sorglosen Betrieb zum Teil Zugeständnisse bei Sicherheitsanforderungen gemacht werden, die es so unauffällig und sensibel wie möglich zu erfüllen galt. Als eines von vielen gelungenen Beispielen sei hier die Absturzsicherung an der Emporenbrüstung im Großen Saal genannt, die heute ganz selbstverständlich im Kontext zum Intarsienzierrat der Kirschholzvertäfelung steht.
Holzrestaurierung
Nach der Integration der neuen Haustechnik im Keller und im Dachboden wurden vom 13.000 m³ umfassenden Raumgerüst die Holzoberflächen restauriert. Das Gerüst musste vollkommen frei stehen und ein gleichzeitiges Arbeiten auf allen Ebenen ermöglichen. Kein Lastdübel durfte in den wertvollen Resonanzkörper gesetzt werden. Dank einer sensibel reagierenden Brandmeldeanlage konnten die akustisch so wichtigen Holzbauteile Kassettendecke und Wandvertäfelung trotz Versammlungsstättenverordnung bewahrt werden. Bei allen auszutauschenden Bauteilen wurde darauf geachtet, Flächengewicht und Schallabsorptionsverhalten nicht zu verändern. 480 m² Emporenfläche wurden so zu einem Druckluftkanal für die Saalklimatisierung umgebaut.
Die sandgestrahlte Fichtenholz-Kassettendecke, 700 m² groß und um rund 100 kg Staub leichter, enthält nun die licht-, bühnen- und klimatechnischen Durchführungen und wird ihrer schalllenkenden Funktion wieder voll gerecht.
Die historische Schellackpolitur der Kirschholzwandoberflächen wurde gereinigt, retuschiert, teilweise wurden krepierte Lackoberflächen auf den südgerichteten, sonnenbeschienenen Hölzern erneuert. Rund 3000 m² Schellackoberflächen wurden aufpoliert.
PROJEKTDATEN
Bauzeit: 10/1998 - 06/2005
Gesamtnutzfläche 19.416 m²
Umbauter Raum: 86.200 m³
Gesamtbaukosten € 34.500.000,00
Projektbeteiligte
Bauherr: Bayerisches Staatsministerium der Finanzen
Projektleitung: Staatliches Hochbauamt Bad Kissingen
Entwurf, Planung und Bauleitung:
Grellmann-Leitl-Kriebel-Teichmann, Architekten BDA, Würzburg
Haustechnik: Ingenieurbüro ABI, Würzburg
Statik: Glatt + Wolf, Bad Kissingen