BAUKULTUR 1_2021: Editorial

(in: BAUKULTUR 1_2021, S. 3)

Liebe Leserinnen und Leser,
verehrte Freunde der Baukultur,

Beton steht für unveränderbar. Betonköpfe ändern ihre Meinung nicht, in Beton gegossen heißt für immer. Nun wissen wir inzwischen, dass das nicht so ist: Risse, Wasser, Rost usw. Ich sollte mich dazu nicht äußern, Baustoffkunde bei Prof. Pilny liegt bei mir 55 Jahre zurück. Faszinierend daran finde ich aber die Bestätigung der Erkenntnis, dass alles sich verändert, ob wir es wollen oder nicht. Sich auf Veränderungen einstellen, besser noch, die Veränderung gestalten, ist unsere Aufgabe.

Aktuell sind die Innenstädte in der verschärften Diskussion. Verstärkt durch die Verhaltensänderungen durch die Coronapandemie wird der Wandel im Einzelhandel durch zunehmende Onlineaktivitäten deutlich. Sterben nun unsere Innenstädte? Nein, sie werden sich verändern, so wie sie sich seit Jahrhunderten immer wieder verändert haben. Und diese Veränderung können wir gestalten.

Aber wer gestaltet? Der Ruf nach dem Staat ist populär, auch wenn gleichzeitig die Gefahr der Bevormundung beschwört wird. Innenstädte sind zuvorderst Gestaltungsobjekt der kommunalen Selbstverwaltung. Hier gibt es ein umfangreiches Instrumentarium aus dem BauGB, dessen Anwendung aber, so ist das Leben, den menschlichen Schwächen der Beteiligten unterliegt. Das idealtypische Zusammenwirken von Bürgerschaft, Parlament und Verwaltung scheitert schon daran, dass der Bürger sich als solcher oft nicht angesprochen fühlt. Die, die sich engagieren, fühlen sich von den Parlamenten nicht ausreichend vertreten und rufen nach Bürgerräten, die anstatt oder parallel zu den gewählten Vertretern Entscheidungen treffen. Diese sollen dann von der Fachverwaltung im Sinne der politischen Verwaltungsspitze umgesetzt werden. Da ist es verständlich, wenn der Gestaltungswille erlahmt. Es bleibt, wie es ist, leider nein, denn die Veränderungen geschehen trotzdem, ohne Gestaltung.

Neues Thema: Raumordnung, wertgleiche Lebensverhältnisse in Stadt und Land. Das ist ein komplexes Thema, und Raumordnung ist nun mal kein Renner in der parteipolitischen Auseinandersetzung. Die Attraktivität der Städte, u. a. staatlich gefördert durch Mietpreisbindung und Mietendeckel, führt zu Überlastungen. Staatliches Handeln wird eingefordert und verstärkt das Problem. Das Portfolio an vorgeschlagenen Maßnahmen ist grenzenlos. Autofreie Innenstädte sind für die einen der endgültige Tod derselben, für andere das Allheilmittel. Mein Vorschlag, die Überlastungen so lange wirken lassen, bis die Attraktivität darunter leidet und die Stadtflucht beginnt. Homeoffice und digitaler Einzelhandel machen das Leben in den Klein- und Mittelstädten attraktiver, Raumordnungspolitik von unten.

Der Medizinsoziologe Holger Pfaff schreibt in einem Zeitungsinterview: „Wenn der Staat zu sehr eingreift, kann die Selbststeuerung verloren gehen. Die Fähigkeit zum Selbstmanagement verlernen die Menschen, wenn sie lernen, sich nur auf die Vorgaben des Staates verlassen zu müssen.“

Leider überbieten sich die politischen Parteien in ihren Versprechen, die Bedürfnisse jedes Einzelnen zu befriedigen. Diesem Angebot, von dem wir selbst erahnen, dass es nicht geliefert werden kann, müssen wir widerstehen und fordern, den staatlichen Handlungsrahmen nicht auf das Erforderliche zu reduzieren, sondern auf das zwingend Notwendige. Gefordert wird viel und nicht jede Not kann der Staat beseitigen. Freiheit bedeutet Risiko, und Risiko beinhaltet Verlust, und Verlust wird als Not empfunden. Auf absoluter Freiheit bestehen und die Not vom Staat beseitigen zu lassen, das mag versprochen werden – ein Schelm, der daran glaubt.

Das Jahr 2020 hat uns Veränderungen gebracht, die wir nicht für möglich gehalten haben. Auf die Festigkeit der gewohnten Lebensumstände werden wir uns nicht mehr so verlassen können, wie wir bisher es gemacht haben. Und das ist gut so. 2021 kann das Jahr werden, in dem wir wieder mehr Verantwortung für uns selbst übernehmen, in und mit der Familie, im Beruf und bei unseren Aufgaben als Bürger des Gemeinwesens. Packen wir es an.

Ihr
Dipl.-Ing. Jens Krause
Staatssekretär a. D.
DAI Ehrenpräsident

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