DAI Literaturpreis 2011

Den diesjährigen DAI Literaturpreis wird die Journalistin Ira Mazzoni erhalten. Die Preisverleihung erfolgt im Rahmen des DAI Tages 2011 in Hildesheim.
(in: BAUKULTUR 4_2011, S. 15)

Seit 1990 schreibt die Literatur- und Kunstwissenschaftlerin Ira Mazzoni als freie Journalistin über Themen der Baukultur im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung und in Architektur-Fachzeitschriften. Ihre Schwerpunkte liegen in den Bereichen Städtebau, Denkmalpflege, Restaurierung, Museumspolitik, Ausstellungen und Kunst. Im November 2004 erhielt sie den Journalistenpreis im Deutschen Preis für Denkmalschutz des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz.

Im April 2011 veröffentlichte Ira Mazzoni in der Süddeutschen Zeitung den Artikel „Das Blaue Wunder von Ulm“, in dem sie sich kritisch mit der Neu-Verglasung der Hochschule für Gestaltung (HfG) in Ulm befasste. In aktualisierter Version stellte sie ihn für die glasBAUKULTUR freundlicherweise zur Verfügung (S. 20-22). Darüber hinaus haben wir die DAI Literaturpreisträgerin 2011 gebeten, sich im Rahmen eines Interviews unseren Lesern vorzustellen. Für ihre sehr persönlichen und klaren Stellungnahmen und auch für das damit verbundene Engagement möchten wir uns an dieser Stelle ganz herzlich bedanken.

Ira Mazzoni im Gespräch

Wo liegen die Wertmaßstäbe für „gute“ Architektur? Wo setzt Ihre Kritik an?
„Gute“ Architektur lässt sich nicht definieren. Es gibt nur Annäherungen und Relationen. Mein Maßstab ist zunächst immer die Stadt, das Viertel, die Straße oder die Landschaft. Wie verhält sich neue Architektur zu ihrer Umgebung und Nachbarschaft? Von welchen gesellschaftlichen Annahmen geht sie aus? Was tut sie für das Gemeinwesen? Welche Perspektiven entwickelt sie für das Zusammenleben? Grundrisse sind mir wichtig. Stundenlang kann ich in ihnen „lesen“, um die Idee des Gebäudes zu verstehen. Ein Kriterium guter Architektur ist nicht zuletzt ihr Umgang mit Licht.

Findet ein persönlicher Austausch mit den Architekten und Ingenieuren statt, mit deren Bauten Sie sich befassen?
Immer und meist schon auf den Baustellen. Übrigens auch mit Handwerkern, Restauratoren und Denkmalpflegern. Da ich nicht Architektur, sondern Literatur- und Kunstgeschichte studiert habe, wurde die Baustelle zu meinem zweiten oder dritten Bildungsweg. Ohne die Besprechungen von Plänen, ohne die Führungen vor Ort, ohne die Diskussionen über Details könnte ich mein Schreiben und Urteilen nicht verantworten. Sie müssen bedenken, dass ich vorwiegend über Maßnahmen in Denkmalen oder Altstadtquartieren berichte. Von Beginn an hatte ich es mit komplizierten, mehrfach veränderten, ergänzten Gebäuden und Ensembles zu tun, die erst einmal von der Bauforschung analysiert werden mussten, bevor Planer sich daran wagen konnten, Fehler zu beheben, die Statik zu konsolidieren und Grundlagen für neue Nutzungen zu schaffen. Sehen zu lernen, was man gemeinhin nicht sieht, finde ich bis heute spannend. Der stete Lernprozess macht meinen Beruf zu den schönsten, die es gibt.

Von Baukultur spricht man eigentlich nur in Deutschland. Den Begriff gibt es zumindest im Englischen nicht. Denken Sie, dass wir uns intensiver mit unserer gebauten Umwelt beschäftigen als andere Länder?
Es gibt viele schöne Worte im Deutschen, die nicht übersetzbar sind. Wenn ich die Genese der Bundesstiftung Baukultur rekapituliere, dann entstand die Initiative wegen eines Defizits von dem, was wir denkbar weit gefasst „Baukultur“ nennen. Andere europäische Nationen schienen uns da sowohl im Verständnis wie in der Gesetzgebung weit voraus. Selbst wenn heute Baukultur nach dem Bundesbaugesetz bei der Bauleitplanung mit zu berücksichtigen ist (§1, Absatz 6, Punkt 5), hat sich in den letzten Jahren nicht viel geändert, im Gegenteil. Das Bundesbauministerium agiert vor allem als Verkehrsministerium mit gravierenden Folgen für Landschaften und Städte. Gravierende Einsparungen im Bereich des Städtebauförderungsgesetzes sprechen auch nicht gerade für eine Konsolidierung von Baukultur. Vielleicht haben die vielen Konvente, Podien, Publikationen, Ausstellungen bewirkt, dass das bürgerschaftliche Engagement für die eigene Stadt oder das eigene Quartier wächst, auch etliche Bürgermeister haben erkannt, dass Baukultur ein echter Wettbewerbsvorteil sein kann. Aber viele fallen eben auch noch auf billige Glücks- und Zukunftsversprechen herein. 

Kann zeitgenössische Architektur zu regionaler Identität beitragen?
Mir gefällt die Frage nicht, höre ich doch unterschwellig alle Vorurteile gegenüber moderner Architektur im weitesten Sinne. Ich hadere auch mit dem meist statisch verstandenen Begriff der Identität, der häufig zu puren Marketingzwecken missbraucht wird und jedes noch so unsinnige Bauprojekt legitimiert. Sicher kann zeitgenössische Architektur lokale Bautraditionen aufgreifen, interpretieren und transformieren. Es gibt ja genügend gute Beispiele dafür. Leider scheinen gerade bei uns lokale Bautraditionen vergessen und verdrängt worden zu sein. Zeitgenössische Architektur kann sich auch bewusst gegen diese Traditionen entscheiden und dem Ort einen Impuls für eine andere Zukunft geben. Gute zeitgenössische Architektur kann einen Nicht-Ort zu einem bemerkenswerten und lebenswerten Ort machen. Ihm überhaupt erst Identität schenken. Allerdings beobachte ich, dass Städte und Regionen häufig nach einem Image statt nach Identität suchen und dabei zu leichtfertig auf Stern- und Sternchen-Architektur setzen, die es so oder ähnlich dann doch überall gibt.

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