Editorial Ausgabe 3-2011

Stephan Nicolay, Vorsitzender des IBK Institut für das Bauen mit Kunststoffen e.V.
(in: BAUKULTUR 3_2011, S. 3)


Liebe Freunde der BAUKULTUR,

Materialien näher zu betrachten, sich deren Möglichkeiten zu öffnen, dafür sind wir Planer immer zu haben. Wir entdecken ein Material, das im herkömmlichen Sinn keine eindeutigen Eigenschaften hat, sodass diese auch mit planbar sind. Wie funktioniert hier, wie früher erlernt, ein materialgerechtes Bauen?

Die Beantwortung dieser Frage innerhalb der polymeren Welt der Kunststoffe ist vielschichtig und kann gewiss nicht allumfassend beantwortet werden. Muss auch nicht, denn aktuelle Architekturen zeigen Ansätze für die Verbindung der physikalischen Forderungen mit einer besonderen Gestaltung, welche mit vermeintlich „traditionellen“ Materialien nur sehr schwer realisierbar wären. Das Institut das für Bauen mit Kunststoffen (IBK) – die Information- und Netzwerkplattform – möchte über die Materialmöglichkeiten der Kunststoffe aufklären.

Ohne Kunststoffe gäbe es keine bunten LEGO®-Bausteine, keine praktischen Tupperware®-Dosen und auch keine schicken iPods – ohne Kunststoffe wäre unser Leben um einiges trister. Oder versuchen Sie einmal, ein Elektrogerät aus Ihrem Haushalt zu benennen, welches ohne Kunststoffe auskommt. Kunststoffe umgeben uns überall.

Auch in der Bauindustrie sind die polymeren Werkstoffe bei Fassadenelementen, haustechnischen Anlagen, Dämmungen oder Abdichtungen nicht mehr wegzudenken. Aber die wahren Potenziale der Kunststoffe, die darüber hinaus noch eine freie Gestaltung ermöglichen, sind den wenigsten Planern bekannt.

 

Mehr als nur „kleine Helfer“

Verschiedene polymere Werkstoffe (z.B. Polyurethan PUR) sind bekannt für ihre hervorragenden Dämm-Eigenschaften. Unterstützt durch sich weiter verschärfende Gesetzgebungen (z.B. EnEV) sowie staatliche Förderprogramme zur CO2-Reduzierung werden sie derzeit vorwiegend in dämmenden Hüllsystemen (z.B. WDVS – Wärmedämm-Verbundsystem) verwendet. Abdichtungen gegen Erdfeuchte, Wasser und Wind sind nahezu undenkbar ohne Kunststoffe. Kunststoffe füllen Fugen oder Flächen (teilweise sogar elastisch) und dichten diese dauerhaft ab. Doch polymere Werkstoffe sieht man in der eher konservativen traditionellen Umgebung des Bauens lediglich in der Rolle des “untergeordneten, kleinen Helfers“ bzw. als Ersatz für zu kostspielige und aufwendige Konstruktionen. Dabei können Kunststoffe sehr viel mehr – sie sind wahre Multitalente.

Viel leistungsfähiger gegenüber physikalischen und chemischen Belastungen bei gleichzeitigem geringem Eigengewicht und freier Transparenz bzw. Transluzenz sind die wählbaren Parameter dieser polymeren Werkstoffe. Die wahren Möglichkeiten der Kunststoffe, bezogen auf das Bauen, werden bisher noch weit unterschätzt, was lang erprobte Anwendungen in der Luft- und Raumfahrt sowie im Automobilbau beweisen. Dabei sollten die Bautreibenden die Mittel und auch das primäre Interesse haben, neue Materialtechnologien in das Bauen zu integrieren, um damit den eigenen Marktbereich in der Zukunft zu sichern.

In Zeiten des digitalen Hypes mit den unglaublichen Möglichkeiten der virtuellen Welt steht man vor dem Problem, diese zu sichten, um die „richtigen“ realisierbaren Möglichkeiten herauszufiltern. Die virtuelle Welt fasziniert und lädt zum experimentellen Spielen ein –  jegliche Materialien werden auf alle möglichen Formen “gemappt“. Alles scheint möglich. Diese Freiheiten, auf den architektonischen Entwurf angewendet, ermöglichen Ungeahntes – die jeweiligen Software-Tools sind dabei auch sehr behilflich. Je virtuoser mit verschlungenen Freiflächen umgegangen wird, desto schneller stoßen wir mit unserer eigenen geistigen Vorstellungskraft an Grenzen. Um so mehr benötigen wir den Computer – nicht zuletzt für den Entwerfer selbst! – zu deren Darstellung. Aber nun wollen wir das Ganze auch noch bauen. Eigentlich “nur“ ein Schnittstellenproblem, nicht von Software zu Software, sondern von virtueller zu realer Welt!

Die sehr gut verformbaren Kunststoffe eignen sich bestens für eine freie, innovative Gestaltung. Wie weit man beim Bauen mit Kunststoffen gehen kann, beweisen bereits eine Reihe realisierter engagierter Architekturen (z.B. BMW Bubble IAA Frankfurt, Allianz Arena München, Kunsthaus Graz, Reiss London). Sie bedienen sich einer Formensprache, die mit traditioneller Architektur bricht und geprägt ist (auch) durch die digitalen Möglichkeiten der heutigen Zeit.

 

Für die Industrie ist in der heutigen Zeit die Suche nach neuen Materialien mit Effizienz in jeglicher Richtung eine Herausforderung. Kunststoffe als intelligente, multifunktional einsetzbare Werkstoffe stehen hier bereit, sind aber in der Entwicklung für das Bauen erst am Anfang ihrer Möglichkeiten. Die immer weiter fortschreitende Materialtechnologie wird die Architektur teilweise schon heute, aber bestimmt in der nahen Zukunft, sehr stark beeinflussen – und ist damit eine Herausforderung für uns alle als Architekten und Ingenieure.

Es gibt viel zu entdecken,
Ihr Stephan Nicolay
Vorsitzender des IBK Institut für das Bauen mit Kunststoffen e.V. 

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