Begrünte Dächer

(in: BAUKULTUR 2_2013, S. 16-17)

In Deutschland werden Dachbegrünungen seit über 30 Jahren professionell ausgeführt. Über 10 Mio. m² Dachfläche werden heute begrünt. Doch in welche Bereiche des Nachhaltigen Bauens kann das Gründach eingeordnet werden? Und welche Funktionen übernimmt es dabei?

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Landesmesse Stuttgart: Ökologie, Wasserrückhalt, Architektur – drei Funktionen der Dachbegrünung (Foto: Optigrün)

Stand der Technik

In Deutschland spielen zwei Gesetzesvorgaben eine große Rolle: die Eingriffs-Ausgleichs-Vorgaben des Bundesnaturschutzgesetzes (nach § 19) und die Entwicklung der Berechnung der Abwassergebühren. Erkenntnisse und Praxiserfahrungen fasst die „Dachbegrünungsrichtlinie“ der Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau e.V. (FLL) zusammen, ergänzt durch die „Empfehlung zu Planung und Bau von Verkehrsflächen auf Bauwerken“ und die „Hinweise zur Pflege und Wartung begrünter Dächer“.
Der reine Dachbegrünungsaufbau ist derzeit noch nicht im Sinne der Wärmeschutzverordnung als definierte Dämmschicht anrechenbar:  Der Gesamtaufbau sei phasenweise durchfeuchtet, was zu Kältebrücken führen könne. Untersuchungen u.a. von Kolb (1988), Köhler (2006) und Minke (2009) haben dagegen gezeigt, dass begrünte Dächer durchaus nennenswerte Wärmedämm- und Hitzeschutzeigenschaften besitzen.

Nachhaltiges Bauen
Nachhaltiges Bauen heißt, Umweltgesichtspunkte gleichberechtigt mit sozialen und wirtschaftlichen zu berücksichtigen. Im Baubereich wird im Rahmen einer Lebenszyklusbetrachtung die Optimierung sämtlicher Einflussfaktoren eines Gebäudes – von der Rohstoffgewinnung über die Errichtung bis zum Rückbau – angestrebt. Ziel ist eine hohe Gebäudequalität mit möglichst geringen Auswirkungen auf die Umwelt. Die Beurteilungs- bzw. Bewertungsmaßstäbe der Nachhaltigkeit von Gebäuden beziehen sich auf die drei vorrangigen Schutzziele Ökonomie, Ökologie sowie Soziales und Kulturelles.

Ökonomie
Hier geht es um die Frage nach der Rentabilität einer Dachbegrünung. Die bisher durchgeführten Kosten-Nutzen-Analysen von Hämmerle (1995 und 2002), Kolb (1997), Manschek (1997), Lietcke (1998), Hoffmann (1999), Krupka (2001) und Mann (2003) lassen sich nicht direkt miteinander vergleichen. Richtungweisend war die Veröffentlichung von Hämmerle (1995), der als Erster eine ausführliche Analyse erstellte, die vielen Autoren als Leitfaden diente. In einem Punkt sind sich alle einig – begrünte Dächer rechnen sich – früher oder später. Mögliche Punkte der Kosteneinsparung:

  • Schutz der Dachabdichtung vor Extrembeanspruchung bei Spitzentemperaturen im Sommer und Winter und vor Wind- und Witterungseinflüssen wie Sturm, Hagel, UV-Strahlung – damit verlängerte Lebensdauer gegenüber der unbegrünten Variante. Fachleute sprechen von einer doppelt so langen Zeit ohne Reparaturen oder Komplettsanierungen.
  • Wärmedämmleistungen im Winter und Hitzeschild im Sommer und damit ein Beitrag zur Energieeinsparung, auch wenn (noch) nicht mit Zahlen anrechenbar.
  • Erhöhung des Wirkungsgrades von Photovoltaikanlagen:
  • Die Dachbegrünung schützt die Dachabdichtung, sodass die geplante Nutzungsdauer der Dachfläche von 20-25 Jahren ohne zwischenzeitliche Reparatur- bzw. Sanierungsarbeiten erreicht wird.
  • Die Dachbegrünung bildet die Auflast der Solarmodule, sodass Durchdringungen in die Dachabdichtung vermieden werden können.
  • Die Dachbegrünung verbessert die Leistung der Photovoltaikanlage um etwa 4-5 % durch Kühlung der Solarmodule und trägt damit zur schnellen Rentabilität bei.
  • Wasserrückhaltung – je nach Begrünungsart jährlich 30-99 % des Niederschlags und Minderung der Spitzenabflüsse – je nach Begrünungsart bis zu 100 %, damit Entlastung der Kanalisation mit den verbundenen Einsparpotenzialen bei Rohr- und Kanaldimensionierung, Einsparung von Regenrückhaltebecken und mögliche Gebührenminderung bei Städten mit gesplitteter Abwassersatzung.

Ökologie

  • Ökologische Ausgleichsflächen und Ersatz-Lebensräume für Tiere. Anerkannte Minderungsmaßnahme bei der Eingriffs-Ausgleichsregelung.
  • Je nach Begrünungsart und Vegetationsform sind dauerhafte Lebensräume mit hoher Artenvielfalt in Flora und Fauna möglich (Mann 1998) bzw. temporäre Rückzugsbiotope für Wildbienen, Schmetterlinge usw.
  • Ausgewählte Gründachsysteme mit ausgeglichener Ökobilanz, Produkte natürlichen Ursprungs bzw. aus Recyclingmaterial und einem dezentralen Substratkonzept, um Transportwege zu minimieren.

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Begrünte Dachterrassen können als zusätzlicher Wohn- und Pausenraum genutzt werden, auflastgehaltene Geländersysteme (wie hier das SkyGard) bieten die entsprechende Sicherheit (Foto: Optigrün)

Soziale Aspekte

„Lebensqualität“  ist durch das Begrünen von Dächern direkt und indirekt beeinflussbar.

  • Verbesserung des Umgebungsklimas durch Verdunstung des gespeicherten Wassers.
  • Verbesserung der Luftschalldämmung aufgrund der größeren Schwingungsträgheit der Gesamtfläche und gute Schalladsorption wegen der Struktur der Vegetation.
  • Filterung von Luftschadstoffen und Feinstaub und Minderung von Elektro-Smog.
  • Verbesserung des Arbeits- und Wohnumfeldes für die Menschen, insbesondere bei einseh- bzw. begehbaren Dachbegrünungen, zusätzliche Wohn- und Nutzflächen.

Die Tendenz zu nutzbaren Intensivbegrünungen mit Freizeit- und Verkehrsflächen ist spürbar. Auf Dächern entstehen nicht nur zusätzlicher „Wohnraum“ mit Spiel- und Sportplätzen, Pausen- und Rückzugsräumen, sondern vor allem Begegnungsstätten.
 
Nutzungsphase mit Pflege und Wartung
Pflege und Wartung betreffen begrünte und unbegrünte Dächer gleichermaßen. Auch ein unbegrüntes Kiesdach muss jährlich begangen und gewartet werden. Dabei werden die Anschlüsse und Entwässerungseinrichtungen kontrolliert – so auch bei einer extensiven Dachbegrünung, die ein- bis zweimal im Jahr begangen wird. Der finanzielle Aufwand beträgt bei einer Extensivbegrünung zwischen 0,50 - 2 Euro/m² und trägt bei fachgerechter Durchführung entscheidend dazu bei, dass die Dachbegrünung ihre Funktion dauerhaft erfüllt, mindestens so lang wie das Bauwerk selbst.

Zusammenfassung
Begrünte Dächer vereinen eine Vielzahl an positiven Wirkungen, die sich je nach den örtlichen Gegebenheiten nachweisbar rechnen können. Sie gehören zweifelsohne zu den Konzepten nachhaltigen Bauens. Für die fachgerechte Planung und Umsetzung gibt es Richtlinien. Es kann festgehalten werden, dass wir mit begrünten Dächern auf dem richtigen Weg sind - in Ökologie und Ökonomie.

Genderhinweis
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