Zurück in die Stadt

Neue Perspektiven der Stadtentwicklung Hildesheims
(in: BAUKULTUR 5_2011, S. 30-32)

Wer heute durch Hildesheim spaziert, erlebt eine Stadt im Aufbruch: An vielen Stellen der Innenstadt wird gebaut, Quartiere verändern ihr Gesicht. Diese Bautätigkeiten sind Ausdruck eines dynamischen Prozesses, der 2007 mit der Verabschiedung des „Integrierten Stadtentwicklungskonzeptes 2020“ begann. Unter dem Leitbild „Zurück in die Stadt“ sollte die Stadtentwicklung nach Jahrzehnten expansiver Ausdehnung ins Umland künftig auf das Zentrum fokussiert werden. Die Stärkung der Innenstadt als kultureller und wirtschaftlicher Mittelpunkt der Region sowie die Profilierung als Wohnstadt, Hochschul- und Gewerbestandort wurden als Ziele definiert. Gleichzeitig soll mit der Strategie „100plus“ Hildesheims Status als Großstadt und Oberzentrum gestärkt werden. Die Stadtplanung hat nun die anspruchsvolle Aufgabe, künftiges Wachstum zunehmend im Bestand zu organisieren. So wurden mit dem Stadtentwicklungskonzept Potenziale für drei Viertel der nötigen Wohneinheiten innerhalb der Kernstadt identifiziert und anschließend im Flächennutzungsplan  ausgewiesen. Darunter sind ehemalige Kasernen und Industriebrachen ebenso zu finden wie aufgegebene Kleingärten oder Sportflächen.

Wege zum Welterbe
Bis 2014 werden die beiden Kirchen und die Stadt in einem einmaligen ökumenischen Projekt die Welterbestätten Dom und St. Michaelis mit ihrem Umfeld sanieren. Das Projekt hat neben den Sanierungsarbeiten an den Gebäuden selbst den Anspruch, diese in ihrem städtebaulichen Kontext nachhaltig zu stärken und erlebbar zu machen. Einen Großteil der Summe von ca. 18 Mio. Euro stellen Bund und Land aus dem „Investitionsprogramm in nationale UNESCO-Welterbestätten“ zur Verfügung. Einen städtebaulichen Schwerpunkt bildet neben der Neugestaltung des Michaelishügels und des Domhofs die gestalterische und räumliche Vernetzung der Welterbestätten untereinander und mit der Innenstadt. Das freiräumliche Konzept baut auf den historisch entstandenen Straßen-, Platz- und Hofräumen auf und versucht, diese in ihrer Kenntlichkeit zu steigern. Ein „Welterbeband“ aus Granitplatten wird von Lichtstelen begleitet und führt den Besucher künftig auf direktem Wege von den Haupteinkaufsstraßen und dem Marktplatz zu den Kirchen und weiteren Sehenswürdigkeiten. Ergänzt wird die Qualifizierung der Stadträume in der dritten Dimension um ein Fassadenprogramm, das auf einem eigens für das Michaelisquartier entwickelten Farbmasterplan aufbaut. Er soll Eigentümer animieren, ihre Gebäude im Rahmen des vorgegebenen Farb- und Materialspektrums zu gestalten.

Warnecke_Arnekengalerie_4bArnekengalerie in Hildesheim mit St. Jakobi (Multi Development, Duisburg, und Sparkasse Hildesheim)

Arnekengalerie – ein Puzzlestück im Stadtgefüge
Mit der Arnekengalerie entsteht in zentraler Lage nahe dem Marktplatz mit einer Investitionssumme von ca. 130 Mio. Euro ein Einkaufszentrum neuen Typs mit rund 22.000 m² Verkaufsfläche. Flankiert wird die Maßnahme vom 2008 verabschiedeten Einzelhandelskonzept, das parallel zur Aufwertung der innerstädtischen Lagen die Ansiedlung von Einzelhandel an nicht integrierten Standorten beschränkt. In enger Zusammenarbeit von Investor und Stadt wurde ein städtebauliches Konzept entwickelt, das konsequent dem Ziel folgt, die inneren Zusammenhänge der Altstadt zu stärken. So wird das Objekt nicht additiv an den Rand der Innenstadt gestellt, sondern wie ein Puzzlestück passgenau in das Gefüge der Haupteinkaufslage integriert. Über offene Gassen ist der Hauptbaukörper mit der Almsstraße und Galeria Kaufhof vernetzt. Der Besucher erlebt auf diese Weise fließende Übergänge und interessante Sichtbeziehungen zur Altstadt. Der Bau der Arnekengalerie stellt den größten Eingriff in die Hildesheimer Altstadt seit Ende des Zweiten Weltkriegs dar. Dennoch haben die Bürger, die Politik und die Kaufmannschaft das Projekt in einem breiten Konsens mitgetragen –das Planverfahren konnte nach weniger als einem Jahr abgeschlossen werden.

Warnecke_Stadtteilzentrum_6bNeues Stadtteilzentrum im Stadtteil Moritzberg (Foto: Gossmann)

„Phoenix aus der Asche“
Im Stadtteil Moritzberg entstehen ein neues Stadtteilzentrum und ein innovatives Wohnquartier auf der Brache der früheren Gummifabrik Phoenix. Nach der Aufgabe der Fabrik wurde 2005 ein städtebaulicher Wettbewerb durchgeführt, aus dem das Darmstädter Büro Trojan + Trojan als Sieger hervor ging. Besonderes Kennzeichen der Entwurfsidee ist die Öffnung des zuvor abgeschotteten Geländes in den Stadtteil mit Marktplatz und einem Nahversorgungszentrum. Der Erhalt der stadtbildprägenden Bauten verleiht dem neuen Quartier eine besondere Authentizität. Die Durchlässigkeit der Wohnbebauung zum neuen Grünzug am Kupferstrang schafft die Voraussetzungen für eine hohe Wohnqualität. Auf Basis des Wettbewerbsergebnisses sind nach Plänen des Büros Kiefer und Kiefer (Sarstedt) die ersten Bauten fertig gestellt. Aus Mitteln des Stadtumbauprogramms investieren mittlerweile auch die benachbarten Eigentümer in die Sanierung ihres Bestandes, sodass sich dieser Teil des Moritzberges aus einer früher benachteiligten Lage zu einem attraktiven Wohn- und Dienstleistungsstandort wandelt.

Warnecke_Ledebur_7aLedeburkaserne (Vordergrund) und Mackensenkaserne (Hintergrund), 2005 (Foto: Stadt Hildesheim)

Konversion – Stadt im Umbau
Mit der Schließung der Mackensenkaserne im Jahr 2009 endete in Hildesheim eine jahrhundertealte Militärtradition. Sie hinterließ über 100 ha Brachflächen in unterschiedlichsten Lagen: Aufgabe und Chance zugleich für die Stadtentwicklung.
Das Projekt Campus Weinberg in Verbindung mit dem neuen Klinikum ist ein sinnfälliges Beispiel, wie die Stadtplanung diese Spielräume für das Erreichen der Stadtentwicklungsziele nutzt. Die ehemalige Ledeburkaserne in verkehrsgünstiger Lage am östlichen Rand der Kernstadt wurde 2007 an die Rhön-Klinikum AG veräußert mit dem Ziel, hier das in der Innenstadt beengt gelegene Krankenhaus in zeitgemäßer Form neu zu errichten. Zusammen mit dem Gelände der benachbarten Mackensenkaserne entwickelt sich hier ein urbaner Wohn- und Dienstleistungsstandort in direkter Nachbarschaft zu den Gründerzeitquartieren.
Mit der Eröffnung im September 2011 wird das frühere Klinikgelände frei für das Projekt Campus Weinberg. Nahe der Altstadt wird hier ein neuer Hochschulstandort errichtet, an dem die bisher auf das Stadtgebiet verteilt liegenden Fachbereiche der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst (HAWK) zusammengeführt werden. Nach dem Sieger-entwurf des österreichischen Architekturbüros Baumschlager Eberle wird die vorhandene Bausubstanz behutsam und mit Rücksicht auf den Denkmalschutz transformiert oder durch Neubauten ersetzt. Der neue Campus fügt sich damit harmonisch ins Stadtgefüge ein. Das zugehörige neue Wohnquartier schließt mit innovativen Stadtvillen in zentraler Lage eine Lücke auf dem Immobilienmarkt.

Baukultur durch Partizipation
Die Stadtentwicklung der letzten Jahre ist nicht nur von den sichtbaren Veränderungen im Stadtbild geprägt. Mit dem Prozess zum „Integrierten Stadtentwicklungskonzept“ hat sich auch eine neue Kultur von Teilhabe der Stadtgesellschaft Hildesheims an der Stadtentwicklung gebildet. Der offene Diskurs und die engagierte Beteiligung der Bürger an den Leitlinien der Stadtplanung mögen Gründe dafür sein, dass trotz der rasanten und teils massiven Umbrüche im Stadtgefüge bei fast allen Projekten ein breiter Konsens in Politik und Bürgerschaft besteht. Trotz vielfältiger Partikular-interessen hat eine bemerkenswerte Einsicht in die gemeinsame Verantwortung für Stadtentwicklung die öffentlichen Debatten geprägt – im besten Sinne Ausdruck der viel zitierten Baukultur.
Dazu zählt auch die städtebauliche Qualität dessen, was neu entsteht. Konsequent wurden in den vergangenen Jahren städtebauliche Wettbewerbe mit dem Ziel durchgeführt, Anregungen von außen in die Stadt zu bringen, um die bestmögliche Lösung für den jeweiligen Standort zu beschreiben.
Die vorgestellten Maßnahmen zeigen, wie aus den abstrakten Zielen des „Integrierten Stadtentwicklungskonzeptes“ Schritt für Schritt gebaute Realität wird. Anders als die Normen der Bauleitpläne vermag es ein diskursiver Prozess, Entwicklungspotenziale zu identifizieren und Impulse für den Städtebau zu geben. Umgekehrt wird jedes Einzelprojekt auf die Vereinbarkeit mit dem städtebaulichen Leitbild überprüft und damit in einen übergeordneten Zusammenhang gerückt. Und die Frage gestellt, ob es den baukulturellen Ansprüchen genügt und Hildesheim auf dem eingeschlagenen Weg weiter bringt – dem Weg zurück in die Stadt.

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