Das OLG Naumburg hat mit Beschluss vom 22.09.2014 – 2 Verg 2/13 – u.a. Folgendes entschieden:
- Ein öffentlicher Auftraggeber ist auch nach dem Abschluss seiner Eignungsprüfung (hier: durch Bekanntgabe des Ergebnisses des Teilnahmewettbewerbs) berechtigt und verpflichtet, neue tatsächliche Umstände, von denen er vor Zuschlagserteilung Kenntnis erlangt und die – bezogen auf den zu vergebenen Auftrag – geeignet sind, nunmehr Zweifel an der Eignung eines ausgewählten Bewerbers zu begründen, zu berücksichtigen und erneut in die Eignungsprüfung einzutreten.
- Zweifel an der Zuverlässigkeit eines Bewerbers oder Bieters im Hinblick auf die Verletzung vertraglicher Verpflichtungen in früheren Vertragsverhältnissen können nicht nur dann berücksichtigt werden, wenn sie als „schwere Verfehlung" zu charakterisieren sind.
Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte einen Planungsauftrag europaweit im Verhandlungsverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb gemäß VOF ausgeschrieben. Innerhalb der Bewerbungsfrist gingen 16 Bewerbungen ein. Fünf wurden für die Teilnahme am Verhandlungsverfahren ausgewählt, darunter Bieter A. Noch vor Durchführung der Verhandlungen hob der AG die Einladung des A auf und teilte mit, dass aufgrund einer Neubewertung der Eignung nachträglich Zweifel an der Zuverlässigkeit des A begründet worden seien. Begründet wird dies damit, dass sich A bei einem Parallelprojekt des AG geweigert habe, die von ihm gegenüber dem Hauptauftragnehmer übernommenen Nachunternehmerleistungen zu den ursprünglichen Ausschreibungsbedingungen zu erbringen. A habe dabei die Frage, ob er nach Übergabe einer Sicherheit gemäß § 648 a BGB die Arbeiten wieder aufnehmen werde, verneint und die Annahme der Sicherheit verweigert. Gegen diese Entscheidung des AG hat A Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer gestellt, die seinem Antrag stattgegeben hat. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des AG.
Das OLG hatte in der Hauptsache nichts zu entscheiden, da die Beteiligten die Nachprüfung in der Hauptsache zwischenzeitlich für erledigt erklärt hatten. Gleichwohl stellt es Folgendes fest:
Ein Auftraggeber hat trotz des Abschlusses seiner Eignungsprüfung (hier mit dem Abschluss des Teilnahmewettbewerbs) mit der Auswahl und Einladung der Bieter zum Verhandlungsverfahren, neue Erkenntnisse, die er vor Zuschlagserteilung erlangt und die – bezogen auf den zu vergebenden Auftrag – nunmehr Zweifel an der Eignung begründen, zu berücksichtigen und erneut in die Eignungsprüfung einzutreten. Ein solcher (später) Zeitpunkt für die Eignungsentscheidung könne unter Umständen selbst noch die letzte mündliche Verhandlung in einem Nachprüfungsverfahren sein. Dies korrespondiere mit dem Rechtsgedanken der Vorschrift des § 19 Abs. 2 Nr. 2 VOB/A-EG, der auf die VOF übertragbar sei. Danach seien u.a. bei freihändiger Vergabe – einem Verfahren, welches dem Verhandlungsverfahren weitgehend entspreche – nur (noch) Umstände zu berücksichtigen, die (zeitlich) nach der Aufforderung zur Angebotsabgabe Zweifel an der Eignung des Bieters begründeten.
Hier habe der AG zum Nachweis der Zuverlässigkeit von den Bewerbern eine Eigenerklärung gefordert, dass die Ausschlusskriterien gemäß § 4 Abs. 9 Ziff. c VOF nicht zutreffend seien. Nach diesen könne ein Bewerber ausgeschlossen werden, wenn er im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit eine „schwere Verfehlung" begangen habe, die vom AG nachweislich festgestellt worden sei. Ein Ausschluss eines Bewerbers sei aber weiterhin auch dann zulässig, wenn zwar keiner der ausdrücklich geregelten Gründe für den Ausschluss wegen Unzuverlässigkeit vorliege, insbesondere keine schwere Verfehlung, aber gleichwohl Umstände nachgewiesen seien, aus denen auf eine Unzuverlässigkeit des Bewerbers geschlossen werden könne. Die vom AG behauptete Verhaltensweise des A im Parallelprojekt, nämlich die Verweigerung der Leistungsausführung ohne sachlichen Grund und die versuchte Nötigung des AG, weitere Aufträge erheblichen Umfangs ohne Vergabeverfahren und unter Umgehung des bisherigen Hauptauftragnehmers direkt an den bisherigen Nachunternehmer zu erteilen, seien geeignet, das Vertrauen des AG in die Zuverlässigkeit des A auch bei künftigen Projekten und insbesondere beim hier ausgeschriebenen Projekt zu erschüttern.
Anmerkung:
Interessant ist die Entscheidung vor allem deshalb, da sie einmal klarstellt, dass die Eignungsprüfung des Auftraggebers – hier mit Abschluss des Teilnahmewettbewerbs – noch keineswegs abgeschlossen sein muss, sondern weitere Umstände und neue Informationen vom AG auch im weiteren Verfahren noch berücksichtigt werden können. Ebenfalls kann ein gravierendes Fehlverhalten eines Bieters in früheren Projekten des Auftraggebers von diesem in der Eignungsprüfung bei späteren Projekten durchaus berücksichtigt werden, selbst wenn es keine schwere Verfehlung im Sinne des Vergaberechts darstellt.
Weitere Informationen: ZIRNGIBL LANGWIESER, Rechtsanwälte Partnerschaft, www.zl-legal.de
Ansprechpartner: Michael Werner, Rechtsanwalt, Tel.: 030 – 88 03 31 235, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!